13.01.2021, von Jörg Schwarz
Das Jahr 2020 liegt hinter uns. Es wird als Coronakrisenjahr in die Geschichtsbücher eingehen. Das Jahr, in dem das Virus uns heimsuchte. Noch immer hat es uns im Griff und lässt das weltweite Reisen zum Erliegen kommen. Reisepläne zerplatzen wie Seifenblasen. Urlaubsträume zerschellen unsanft. Die Hoffnung auf eine baldige unbeschwerte Rückkehr des Reisens wird wohl noch lange enttäuscht werden... Was liegt da also näher, als die fast vergessenen Schätze früherer Reisen zu bergen, sich der Abenteuer zu erinnern, wegen derer man schließlich immer wieder aufbricht und die uns ja das Reisen gerade so vermissen lassen...?
Spurenwechsler erzählen hier das vielleicht größte Abenteuer ihres Reise-Lebens, ein Abenteuer, das im Nachhinein - jetzt da es offensichtlich gut ausging - eine gern erzählte Geschichte ist. Sie hätte aber auch ganz anders enden können. Sie hatten Glück, viel Glück...!
Die Fotos dieses Reiseberichts sind sehr dürftig in Zahl und Qualität: Wir haben 1997 schlicht noch nicht so viel fotografiert und unsere analoge Kamera genügte heutigen (und damaligen) Maßstäben leider so gar nicht. Ohnehin hatten wir die Kamera während dieses Erlebnisses so gut wie vergessen...
Leider haben wir aus dieser Zeit kaum gute Fotos... Dieses Bild der Bucht von Laem Thian, Koh Tao, Thailand stammt von Huw Penson auf Google maps streetview und zeigt den heutigen Zustand der Bucht (2019). Das hier hinterlegte Foto ist direkt mit der URL der Quelle verlinkt. Einfach anklicken und weitere Perspektiven erschließen...
Unsere Reiseerinnerung geht zurück in das Jahr 1997 (sic!). Wir reisten in dieser Saison in Thailand und Indonesien und befanden uns gerade auf der thailändischen Insel Koh Tao (Golf von Thailand, bei Koh Samui) in der kleinen, unscheinbaren und beinahe vollständig naturbelassenen Bucht von Ao Laem Thian, dem östlichsten Zipfel der Insel. Es war der deutsche Spätsommer und beginnende Herbst (Sommersemesterferien), Zwischensaison an
der Ostküste Thailands und viele Jahre für uns die bevorzugte Reisezeit im Südosten des Landes, um den Massen der Hauptsaison aus dem Wege zu gehen und den wundervollen Inseln, den traumhaften Stränden und der quirligen Unterwasserwelt dieser Region in Ruhe zu frönen...
Wir haben uns von Ping Pong - wir kennen Sie und ihre Familie von zwei vorhergehenden Aufenthalten in der Bucht - im Hauptort der Insel und am Mae Haad - Bootssteg unter reichlich Wiedersehensfreude abholen und uns mit dem Pickup - auf der offenen Ladefläche - durch das unwegsame Gelände kutschieren lassen...
Die Laem Thian Bucht auf Koh Tao - 1997 ein Geheimtipp
Die Laem Thian-Bucht war zu dieser Zeit das, was man wohl einen Geheimtipp unter naturverliebten, finanziell notorisch knappen Backpackern nennen konnte und nur wenigen Thailandreisenden bekannt war - heute scheint sie überhaupt kein touristisches Ziel mehr darzustellen. Sie liegt am östlichen Rande des üppigen und unberührten Dschungels der Insel und lag schon damals abseits der erschlosseneren Ziele und Strände Koh Tao's, die sich zu der Zeit vor allem als Tauch- und Korallenparadies einen Ruf erworben hatten. Die einzige Straße zur Bucht von Laem Thian - und das ist weit übertrieben, handelt es sich doch eigentlich um einen unbefestigten, teils steilen und nur mit geländegängigen Fahrzeugen überhaupt zu passierenden Dschungelpfad - wird ausschließlich von der Familie zum Transport von Gästen oder der Versorgung der kleinen Bungalowanlage genutzt - ansonsten liegt sie weit ab vom Schuss. Gerade der schwierige Zugang quer durch den dichten und bergigen Insel-Urwald war ein Markenzeichen Laem Thians: Die kleine felsige Bucht liegt abgeschieden und ruhig am Rande der Wildnis und geht quasi unmittelbar vom Dschungel in das Meer über... In dieser naturbelassenen, rustikalen und abgeschiedenen Atmosphäre war man in der Regel mit der Familie Ping Pongs und einigen wenigen Travellern allein sowie weit entfernt von Fullmoon-Events, Drogenpartys oder anderen Auswüchsen des Massentourismus in Thailand.
Wir erlebten in der kleinen Bucht fantastische Wochen über mehrere Jahre hinweg und waren hier meistens sehr sehr glücklich... In den einfachen, spektakulär in den steil zum Meer hin abfallenden Dschungel hineingebauten Naturbungalows - Bambus, Holz und Palmblätter waren die einzigen verbauten Materialien der großzügigen Hütten - verbrachten wir unvergessene und spannende Tage, genossen wir in Hängematten auf den großen Terrassen zum Meer hin spektakuläre Aussichten und hatten wir - mehr als uns lieb war - Kontakt zu den Tieren des uns umgebenden Dschungels: Furchterregend große Spinnen jagten an den Wänden unserer Hütte zahllose Insekten und sonstiges Kleingetier, riesige scherenbewährte Landkrabben erschreckten uns immer wieder des Nachts auf dem Weg zurück zum Bungalow und sogar ein viele Meter langer, beeindruckender Python suchte die Anlage während einer ganzen Woche lang heim. Sie belauerte nächtelang den von ihrer Mutter tapfer verteidigten Katzen-Wurf und trieb sich - wer wusste schon immer so genau wo - in der Anlage herum, die des Nachts nur bis 22:00 Uhr - sehr spärlich - durch einen Generator beleuchtet wurde. Anschließend war es dann tiefdunkel und der Sternenhimmel an klaren Tagen ein Hammer... Sonst waren Kerzen und Taschenlampen die Wahl, ein Mosquitonetz Pflicht und irgendeinen Luxus suchte man hier vergebens...
Schwarzspitzenriffhaie und eine bunte Korallenbank
Ganze 8 Hütten gab es hier, ein rustikales, beim kleinen Strand der Bucht gelegenes, gemütliches Beach-Restaurant aus Holz und Bambus unter Büschen, Hängematten unter Bäumen und Sträuchern, vor allem aber Felsen satt: Fantastische große Granitfelsen bildeten bei Laem Thian die Uferzone sowie eine kleine aufgetürmte Landzunge - die östlichste Spitze Koh Tao's -, die sich erklettern ließ und von der man einen fabelhaften Blick auf Meer und Bucht erhaschen konnte. An einigen Stellen bieten die Felsen hervorragende Möglichkeiten in das glasklare und abkühlende Meer zu springen... Direkt vor der Anlage und an der Felsenküste entlang erstreckt sich ein großes Riff mit einer wundervollen Vielzahl an bunten Fischen und Korallen. Das fabelhafte Unterwassererlebnis stellte sich als überragendes Highlight dieses Ortes dar und ließ das Schnorcheln über alle Tage zur Hauptbeschäftigung werden. Neben zahllosen kleinen und farbenreichen Fischen, Schnecken oder Seepferdchen sahen wir Tag für Tag einige kleine Schwarzspitzen-Riffhaie und gelegentlich schon etwas größere Graue Riffhaie in der Bucht. Barracuda-Schwärme mit bis zu 20 Tieren schwammen besorgniserregend - in einkreisender Angriffsformation? - um uns herum und hin und wieder tauchten Rochen unmittelbar vor unserem Strand in der schnell tiefer werdenden Bucht auf. Wäre all das nicht bereits Attraktion genug, hatten wir hier auch unvergessene menschliche Begegnungen und Freundschaften geschlossen, kulinarische Höhen, wie den einzigartigen Coconut-Pudding oder das No-Name-Chicken von Mama, erklommen. Was tat man hier sonst? Ganz viel chillen, lesen und nette Leute treffen... Kurz: Laem Thian war für uns in dieser Zeit ein Sehnsuchtsort über viele Jahre hinweg.
Das Wetter schlägt um
Auch im besagten Jahr 1997 hatten wir ein paar schöne Tage hinter uns - wir hatten zuvor bereits Koh Samui und Koh Pha Ngan sowie nun ein paar schöne Tage auf Koh Tao genossen - als plötzlich und unerwartet das Wetter umschlug... Was sich als grauer und wolkenverhangener Himmel ankündigte, weitete sich innerhalb eines weiteren Tages zu wolkenbruchartigem Regen mit nur wenigen Unterbrechungen aus. Schlagartig wurde aus dem vermeintlichen Paradies ein nass triefendes Fleckchen Erde weit ab der Zivilisation, in dem sämtliche Standortvorteile in Bächen den Hang herabspülten... Das ansonsten wundervoll grün und blau leuchtende Meer zeigte sich nun tiefschwarz und abweisend, sein Innenleben blieb beim Schnorcheln ohne Sonne fad und beim Blick von außen verschlossen. Weitblick verlor sich in grauen Schleiern: Wo gestern noch Horizont war, verschmolzen im trüben Einerlei Meer und Himmel zu einer grauen Wand. Bindfäden von Regentropfen schlugen im Stakkato auf der Oberfläche des Meeres ein und schufen auf der wie unbewegt, ohne jeglichen Wellengang, daliegenden Meeresfläche unzählige Bläschen. An Land rauschte es wie Trommelwirbel auf vertrocknetes Laub und dünne Wellblechpappe, so dass man das eigene Wort kaum noch verstehen konnte. In unserem Bungalow tropfte es jetzt zunehmend durch das Dach, die Klamotten und Bettlaken, ach, was sag ich: Die Seele selbst wurde zunehmend klamm und feucht und trotz der weiterhin recht hohen Temperaturen erschien es uns in der tropischen Umgebung nun zunehmend kalt und unangenehm. Wir begannen bei 28°C zu frösteln.
Da wir 1997 - und erst Recht auf Laem Thian - noch kein (weit verbreitetes) Internet kannten und wir hier draußen auch keine Tageszeitungen hatten, hat uns die Schlechtwetterfront nicht nur überrascht, wir kannten auch die weiteren Aussichten nicht... Was wir zunächst als "passiert schon mal" und "vorübergehend" abtaten, wurde nun aber Tag für Tag zu einer immer klareren Gewissheit: 'Dieser Wetterumschwung ist nicht schon morgen Geschichte, ist nicht bloß ein "kleiner Schauer"' und so nagte deshalb Stück für Stück und Stunde um Stunde eine wachsende Unzufriedenheit an unserer Laune. Allein die bereits guten Tage der letzten drei Wochen und die Aussicht auf bessere Tage im Osten Indonesiens - wir planten in gut einer Woche von Bangkok aus nach Denpasar weiterzufliegen - trösteten uns zunächst. Doch es war am Ende gerade dieser "Blick voraus", der uns an den kommenden Tagen zunehmend Sorge machte: Ping Pong machte ein erstes Mal deutlich, dass es vielleicht schwierig werden könnte, von der Insel zu kommen. 'Man wisse ja nicht, wie lange noch Boote fahren...' Werden wir also rechtzeitig unseren Flug erreichen? Was wir angesichts des absolut stillstehenden Meeres im ersten Moment als unbegründete Sorge abtaten - es waren ja noch 7 Tage Zeit und warum sollten die Boote nicht fahren? - wurde noch am selben Abend zu einer sehr realen Befürchtung, als Sturm aufzog... Ein schweres Gewitter bescherte uns in unserer winddurchwehten Hütte eine furchteinflößende donner-, blitz- und regenschwangere Nacht. Wir schliefen nicht viel, froren in unseren klammen Betten und verfolgten durch das Fenster unserer Hütte pausenlos niedergehende Blitze...
Aufbruch in strömendem Regen
Ich erinnere mich daran, als wäre es heute passiert...
Übernächtigt, gerädert und nur sehr oberflächlich schlafend, dösen wir vor uns hin - das Gewitter hat sich beruhigt. Aber es ist kühl geworden als uns Ping Pong früh am Morgen schon wieder weckt... Wir schrecken im Halbschlaf verwirrt auf, als es laut an der Tür klopft. Natürlich lassen wir uns sonst nicht wecken und sind ein wenig irritiert... Draußen strömt der Regen noch immer in unendlich langen und geraden Bändern vom trüben Himmel. "Sawadee ka, York! Ich habe mich im Dorf erkundigt!", sagt sie entschuldigend, da sie unsere Ruhe stört und merkt, wie uns das im Moment nervt. "Es wird heute nur noch ein Boot die Insel verlassen und dann wohl erstmal für Tage keines mehr... Um 10:00 Uhr fährt das letzte Boot von Mae Haad in Richtung Chumphon. Wollt ihr mit?" Wir blicken wohl etwas arg überfahren aus unserem Netz und sind mit der Frage gerade noch völlig überfordert... Ich befinde mich noch zwischen den Welten und erst nach und nach sickert der Gedanke in mein durchnächtigtes Hirn, verbinde ich Worte und Wortfetzen zu Bedeutung und Sinn. "Es wird das letzte Boot für Tage sein", wiederholt sie, "weil ihr doch fliegen müsst...!?" Und tatsächlich - nach einer gefühlten Ewigkeit der Besinnung und einer spontanen Abstimmung von Kissen zu Kissen - wollen wir... Ein Blick auf die Uhr verheißt einen Schnellstart; packen, zahlen, los... Da jetzt alles pitschenass ist, verpacke ich vor allem die Kamera wasserdicht im kleinen Rucksack und hole sie nicht mehr so schnell raus... Ich hasse diese Kickstarts - erst recht im Urlaub...
Zunächst geht es durch den Wald. Bei strömendem Regen sitzen wir mit schnell triefenden Regenponchos und schon jetzt beinahe durchnässten Rucksäcken erneut auf der Ladefläche des Pickups... Ping Pong reicht uns noch schnell eine große Plane zum Abdecken der Backpacks und los geht's- Doch bald schon laufe ich zumeist neben und vor dem Auto her, denn das Unwetter der vorhergehenden Nacht und vor allem der ununterbrochene Regen haben zahlreiche kleinere und größere Steine - hier und da riesige Felsbrocken - aus der Böschung über uns geschwemmt. Wir sehen tiefe und besorgniserregende Wasser-Furchen in der durchweichten Piste vor uns und wahre Bäche von Sand und Gestein... Ping Pong fährt den Wagen, ich räume die groben Hindernisse aus dem Weg... Die Fahrt dauert eine gefühlte Ewigkeit. Irgendwann gelangen wir - ich klitschenass von Regen und Schweiß sowie dreckig wie Sau - an den Pier, wo schon andere Traveller warten... Der Regen hat jetzt aufgehört, wir haben unser Ziel rechtzeitig erreicht und sind erleichtert. Ping Pong besorgt uns noch schnell nebenan was zu essen, Baguettes mit Schnittkäse, Tomate, Ei und Gurke in Papierservietten eingewickelt... Wohl das erste Mal, dass wir sowas in Thailand essen werden... Wohin damit jetzt? denke ich bei mir und sehe wie Magda sie in einer der Außentaschen unseres kleinen Rucksacks verstaut. Ich wasche mir kurz Beine und Arme vom matschigen Sand, trockne mich kurz ab und habe das Gefühl jetzt für die Mission gewappnet zu sein... Wir danken Ping Pong noch, 'Küsschen, Küsschen' und dann werden wir zum Aufbruch aufgefordert.
Das letzte Slowboat Richtung Festland: Eine Nussschale
Vor uns liegt das angeblich letzte Slow-Boat, das in den kommenden Tagen die Insel verlassen wird. Danach soll der Verkehr mit dem Festland erstmal zum Erliegen kommen: Eine kleine, fast vollständig aus Holz gebaute Nussschale, die sicher schon die besten Tage hinter sich hat... Sie ist viel kleiner, als die üblichen Fähren der hiesigen Inselwelt, die 1997 noch nicht ansatzweise mit den heutigen Turbo-Katamaranen vergleichbar sind, aber doch schon deutlich größer als diese hier... Dieses Boot ist klein und alt, seine Farbe blättert arg und wirkt völlig ausgewaschen, brauner Rost allenthalben und das Holz ist bereits ordentlich vom Salzwasser zerfressen. Aber was macht das jetzt schon. Wir wollen, wir müssen unseren Flug nach Bali kriegen, also rein in die gute Stube... Wir klettern mit unseren Rucksäcken und mit Unterstützung der Bootsleute über einen Holzsteg zum Boot, winken zum Abschied Ping Pong nochmal zu und steigen über die Reling hinweg in das Innere des bauchigen Schiffes hinein. Das Boot ist wirklich nicht sehr groß, die drei Bankreihen im hinteren Bereich, eine Stufe oberhalb des Schiffsbodens situiert, sind schnell besetzt, für die übrigen Passagiere bleiben die tief liegenden, weit in den Rumpf des Schiffes eingesenkten Bodendielen... Wir realisieren schnell: Üblicherweise werden mit diesem Boot wohl keine Passagiere, sondern Gegenstände transportiert... Wir sollen unsere Rucksäcke in der Mitte aufeinanderstapeln und uns dann um diesen Haufen herum positionieren. Ich nehme ein Grinsen der Bootsleute wahr, ein paar Tuscheleien, angesichts einiger wohl doch etwas ungläubiger Gesichter der Farangs, die schnell in einen etwas ruppigeren Ton umschlagen, als sich die ersten zu beschweren beginnen. Angesichts der Alternative: "Aussteigen oder hinsetzen!" wird es aber schnell wieder ruhiger und die meisten Reisenden nehmen die Sache mit Humor...
Ich schaue mich um: Wir sitzen tief unten im Bootsrumpf und auf groben Planken. Die Schiffswände ziehen sich zu beiden Seiten in einem ausgedehnten Bogen gute zwei, drei Meter vom Boden aus in die Höhe. Wir sitzen wohl unterhalb des Wasseroberflächenniveaus. In diese Schale hinein wurde ein rechteckiger Aufsatz gebaut, der mit der Decke, unserem Dach, und den teils offenen Wänden an den Seiten, abschließt. An den massiven Bootswänden aus Holz finden sich keine Bullaugen, aber man kann oben zu beiden Seiten des Dachaufsatzes aus den Türen und Öffnungen hinaus schauen. Von unserer Position aus bedeutet das: Man kann in den Himmel blicken. Immer wieder laufen dort nun die Beine der Bootsmänner auf dem schmalen Streifen des Oberdecks vorbei, mehr sehen wir nicht. Der schwer grau verhangene Himmel ist jetzt diesig, aber es regnet nicht. Was für eine Ironie, da wir doch jetzt immerhin ein Dach über dem Kopf haben... Vorne befindet sich ebenfalls ein kleiner Ausgang, der zur hochgezogenen Bootsspitze und den Ketten des Schiffsankers führt, den jetzt zwei Besatzungsmitglieder durch Muskelkraft mithilfe eines Drehkreuzes einziehen. Hinten im Boot sind die angesprochenen Bänke und die Brücke des Schiffes, zu der eine Treppe hinaufführt. Auch sie ist für uns nur zur Hälfte einsehbar und wir sehen nicht mehr als die Beine des Bootsführers. Ebenfalls von hinten - vermutlich unterhalb der Brücke an der Rückwand des Schiffsbauches - vernehme ich den laut dröhnenden Motor des Schiffes, der nun anschwillt und reichlich Dieselgestank zu uns herüberweht... Ich sitze auf meinem Rucksack recht bequem und spüre dennoch die krassen Vibrationen der Maschine. Wir setzen uns in Bewegung.
Das Schiff versucht zu wenden und fängt eine erste krachende Welle...
Noch also waren wir völlig unbedarft, freuten uns darüber, dass wir das letzte Schiff erreicht und unsere Position für die nächsten, geplant gut 3 Stunden nach Chumphon gefunden hatten. Oft schon hatten wir in Asien in ähnlich improvisierter Position in Booten gesessen und auch die Strecke durch den Golf von Thailand nach Chumphon - Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Süden Thailands - machten wir nicht zum ersten Mal. Was immer wir heute bis zu diesem Zeitpunkt vom Meer gesehen hatten, sah es keineswegs bedrohlich aus. Wir dachten an Vieles, aber sicher nicht an irgendeine Gefahr... Erst nach einigen Minuten spürten wir zunehmende Wellenbewegungen des Schiffes, das offenbar gerade aus dem Hafen heraus in das offene Meer hinein gefahren war. Wir hörten die Anweisungen des Bootsführers und spürten in der Magengegend sowohl das Tuckern der Maschinen als auch ein erstes Mal das Auf und Ab des Schiffes, das nun schlagartig stärker wurde...
Ich blicke - ein wenig irritiert vom überraschend rauen Schwanken des Schiffes - ein erstes Mal nach oben aus der Tür hinaus und schaue in den Himmel. Das Boot senkt sich nun, wir nehmen es erneut sehr deutlich durch ein Gefühl des Hochfahrens in der Magengegend wahr, in ein Wellental hinein. Über der gut zwei Meter über uns postierten Reling des Schiffes - eben noch Himmel pur - hebt sich jetzt - und ich kann es nicht glauben - ein erstes Mal das Meer sichtbar in den Himmel hinein und verschwindet über unserem Dach aus meinem Blickfeld... "Was ist das?" denke ich und spanne all meine Muskeln blitzschnell in der Erwartung an, das im nächsten Augenblick eine riesige Welle über unserem Boot zusammenschlagen muss... Ich halte den Atem an und Magda fest im Arm. Sie schaut nun ebenfalls erschrocken erst mich und dann die Tür da oben an. Wir hören laute Kommandos der Crew und nehmen die Unruhe der anderen Passagiere im Boot wahr, die scheinbar ebenfalls von der Heftigkeit der Wellen überrascht sind. Wie auf der Kirmes schnellt das Boot nach gefühlten Minuten - eine Welle hat uns nicht getroffen - nun wieder hoch... Die Wasserlinie oben in der Tür, zu der ich gebannt und angespannt blicke, fällt in rasendem Tempo wieder aus dem Himmel herab und verschwindet unsichtbar hinter der Wand des Schiffes. Wieder sehe ich nur den grauen Himmel, der jetzt dunkel, aber dort oben doch deutlich weniger bedrohlich wirkt, als soeben das Meer. Wir schießen nach oben auf den Wellenkamm und spüren nun - neben den Signalen unseres Magens - tatsächlich ein erstes Mal so etwas wie Angst... "Wird schon nicht so schlimm sein!" beschwöre ich mich selbst und taxiere die Reaktionen der anderen Menschen an Bord...
Das Schiff liegt quer - wie kommen wir hier nur raus?
Oben an der Reling schwankt ein Seemann flink nach hinten zur Brücke. Während ich seinen Beinen folge und wie gebannt auf den nächsten Anstieg der Wasserkante warte, nimmt die Unruhe hier im Innern des Boots weiter spürbar zu. Noch immer tun einige cool, die meisten anderen allerdings sind ziemlich hellwach und alarmiert und bestätigen damit mein eigenes Gefühl. Mein Herz macht erneut einen riesen Sprung als die Wasserkante da oben wieder gen Himmel schießt und das Boot nach unten driftet... Wieder erwarte ich einen Wassereinschlag, der nicht kommt. Die Kommandos von der Brücke aber werden lauter. Geschäftiges Treiben. Ein nächstes Wellental katapultiert uns abwärts, wir schwanken jetzt doch erheblich zur Seite und fangen uns eine erste krachende Welle von rechts. Gischt und Wasser spritzen jetzt über die Bordwand in den Rumpf des Schiffes, es kippt bedrohlich zur Seite weg und ich muss mich auf Magda und fremde Rucksäcke stützen, damit ich nicht zur Seite wegfalle. Rucksäcke fliegen vom Stapel auf das Deck, ein Plastikeimer segelt laut krachend durch den Bauch des Schiffes. Frauen und Männer kreischen kurz und erschrocken auf. Mir fährt der Schreck endgültig in die Knochen und ich höre Magda sagen: "Oh Gott...!".
Das Schiff richtet sich mühsam wieder auf, ehe wir erneut in eine ordentliche Schieflage geraten. Wasser kübelt jetzt literweise in den Innenraum... Wieder driften wir gefährlich zur Seite weg. Die Menschen an Bord kippen allesamt nach links. Es krachen abermals Gegenstände auf das Holz. Ich stehe unvermittelt auf, setze mich aber gleich wieder... Erneut Schreie und hysterische Kommandos von der Brücke. Da oben ist jetzt richtig Aufruhr, schießt es mir durch den Kopf, als die nächste Dusche uns erreicht... "Die versuchen umzudrehen", flüstert ein Tourist, ein paar Meter von mir entfernt seiner Freundin zu und stützt sich auf dem Boden sitzend mit allen Vieren ab. Das Boot ist ein Spielball des Wassers... Natürlich hat es keiner so heftig erwartet... Ich starre wie gebannt nach oben zum rettenden Ausgang: "Wie kommen wir hier bloß raus, wenn das Boot sinkt?", denke ich. Das Schiff nimmt den nächsten Schwall Meereswasser, das sich nun bereits auf dem Boden des Innenraums sammelt und ausbreitet. Erneut legt sich das Schiff atemberaubend auf die Seite. Ich bin schon wieder nass, vor allem aber vor Angst gelähmt...
Wir erlebten das Geschehen wie im Film. Adrenalin und Angst alarmierten alle Sinne, aber wir waren zum Nichtstun verdammt. Ich versuchte zu verstehen, was da draußen passierte. Mir geisterten Gedanken durch den Kopf, ich ersann Szenarien und in Bruchteilen von Sekunden verwarf ich sie wieder... "Erstmal aufrecht halten!" war das Motto. Die ersten Menschen an Bord begannen sich zu übergeben, als die nächste Welle auf uns nieder prasselte. Auch mir wurde ganz schlecht von dem Auf und Ab. Unter anhaltendem Geschrei und Kommandos von der Brücke bemühte sich die Crew das Boot wieder auf Kurs und das hieß wohl, frontal gegen die Wellenrichtung des Meeres zu steuern. Aber hieß das nicht auch 'hinaus auf das offene Meer' statt 'zurück in den Hafen'...? Das Umkehrmanöver jedenfalls - wenn es denn eines war - war gescheitert. Vermutlich hatten sie versucht das Schiff in den sicheren Hafen zurückzubringen, als sie die Heftigkeit des Wellengangs bemerkten, aber es hatte nicht funktioniert! Vielmehr hatte es uns erst in echte Not gebracht und konnte gerade noch rechtzeitig korrigiert werden. Das Meer zwang uns den Kurs förmlich auf... Wir waren also dazu verdammt, weiter mitten hinaus auf das offene Meer zu steuern. Was für eine Aussicht!
Pappbescher und Zahnbürsten schwimmen im schmutzigen Wasser
Noch immer schwankt das Boot in heftigen Amplituden rauf und runter. Es scheint seine Linie wieder gefunden zu haben, denke ich, es liegt nun wieder stabiler und sicherer, vor allem ohne allzu große seitliche Ausschläge, im Wasser. Warum beruhigt das nicht? Es sind die eigenen Bilder, die mir durch den Kopf schießen und die mich weiter alarmiert sein lassen... Mein Geist heckt ein Szenario nach dem anderen aus, die Phantasie dreht frei... Ich konzentriere mich auf das Hier und Jetzt: Mein Magen dreht sich... Um mich herum ist es nun ganz still. Einige Flüstern, aber ich kann sie nicht verstehen. Nur die Maschinen im Heck arbeiten weiter ohrenbetäubend vor sich hin. Ehrfurcht hat Einzug gehalten und ich sehe jegliche Coolness aus den Gesichtern meiner Mitreisenden verschwunden. Die Crew versucht die Passagiere zu beruhigen und bittet auch die Leute von den Bänken hinten, zu uns auf die Planken umzuziehen. Sie selbst wirken angespannt und haben Schwierigkeiten sich aufrecht zu halten. Starker Wind und Dieselgestank bläst in den Innenraum und nun beginnt es auch wieder zu regnen. Oben prasselt es auf das Deck und hier und da regnet es schräg in das Schiff hinein. Jeder hat jetzt mit sich selbst zu tun.
Das ewige Schwanken, das Rauf und Runter, immer wieder auch Erschütterungen von der Seite, rühren weiter in meiner Magenkuhle. Ich atme tief ein. Das Schiff driftet mal wieder nach unten und einige kotzen erneut ohne Halten auf die Planken, was es mir nicht leichter macht... Was sollen sie tun? Es stinkt jetzt fürchterlich nach einer Mischung aus Diesel, Kotze und Angst und ich spüre einen Anflug von Schüttelfrost... Der Boden ist jetzt völlig unter Wasser und es ist nicht appetitlich, was dort schwimmt... Auch Pappbecher, Zahnbürsten und ein Flip Flop nehme ich mit der Zeit wahr, niemand kümmert sich um sie. Die Rucksäcke der Passagiere sind bereits völlig von Wasser durchtränkt, als mein Magen erneut einen dynamischen Aufwärtshaken des Bootes empfängt. Ich werfe einen Blick zu Magda und flüstere ihr - wohl eher mir selbst - Mut zu. Zuviel des Sprechens, merke ich... Gleich kommt es hoch, glaube ich, und halte eine alte Plastiktüte bereit, die ich seit einiger Zeit aus dem kleinen Rucksack gefingert habe. Ich muss mich jetzt arg konzentrieren, um alles bei mir zu halten... Magda antwortet ohnehin nicht mehr, sie scheint in sich gekehrt und ihren eigenen Kampf zu bestehen. Ich verfluche mich jetzt, weil ich so dumm war, unter diesen Umständen, in einem solchen Unwetter, in diese Nussschale gestiegen zu sein... Wie naiv.
Immer wieder mal sprüht Gischt von oben in das auf und ab wogende Schiff. Der Boden steht mittlerweile Knöcheltief unter Wasser und seit einiger Zeit schon haben wir einen süßlich-sauren Gestank in der Nase. Es müssen die Baguettes von Ping Pong sein, denke ich unentwegt und habe ein schlechtes Gewissen. Sie müssen während der Aufregung irgendwo zwischen die Rucksäcke geraten sein... Teile des Baguettes schwimmen im Wasser umher, auch aufgequollener Brötchenteig macht sich selbständig... Egal wohin ich schaue: Ich kann den Gedanken an das aufgeweichte Baguette nicht mehr los werden...
Chumphon in Sicht - Wir leben noch!
Noch heute, mit Abstand von vielen Jahren, rieche ich diesen ekelhaften Gestank und kann ihn nicht vergessen... Er ist an diese Szene gekoppelt und scheint sich eingebrannt zu haben... Noch viele Stunden pflügte sich unser Boot in tiefem Auf und Ab durch den Golf. Der Magen drehte sich weiter und weiter und wir fühlten uns schrecklich seekrank. Es schien, als nehme der Wind wieder Fahrt auf, der Regen prasselte jetzt extrem und es wurde dunkler und dunkler im Schiff. Ein Untergangsszenario. Das Sitzen strengte jetzt ziemlich an, Nässe nagte am Körper. Wir klammerten uns aneinander und versuchten uns gegenseitig ein wenig Trost und Wärme zu spenden. Ich flehte das Schicksal an, uns hier irgendwie wieder raus zu lassen... Mit der Zeit machte das monotone Schwanken in Kombination mit den rumpelnden Maschinen ganz benommen. Wir waren in der eigenen Gedankenwelt versunken, dösten im steten Auf und Ab vor uns hin und ließen es über uns ergehen. Noch schwammen wir immerhin und so hefig das Boot auch tanzte, es bewegte sich jetzt wenigstens in einer beruhigenden Monotonie... Das Gehirn drehte derweil im Leerlauf, gab sich der Existenz als solcher hin. Erst nach endlos lang erscheinenden 5 Stunden - 2 Stunden länger als die Überfahrt normalerweise dauerte - erreichten wir Chumphon.
So elendig die Lage innerhalb des Schiffes auch sein mochte, so erleichtert waren wir natürlich, als das Festland angekündigt wurde. Gott sei Dank! Steine, nein Felsbrocken fielen uns - und wohl auch den meisten anderen - von den Schultern. Erleichterung allenthalben, müde Zufriedenheit. Die ersten taten allerdings bereits, als sei nichts passiert... Magda und ich aber drückten uns vor Erleichterung und Freude. Wir wussten, dass es verdammt knapp war. Sehr eng. Keine normale Fahrt. Wir waren an dem Tag dem Tod wohl noch einmal von der Schippe gesprungen, wenigstens aber einem schon sicher geglaubten Kentern des Bootes entgangen... Ich sah den meisten Gesichtern der anderen Passagiere an, dass sie genauso dachten... Es hieß jetzt aber, sich wieder aufzurichten, sich durchzudrücken und die Beklommenheit der Angst abzuschütteln.
Ich schaue mich im Boot um. Das Wasser auf den Planken ist zurückgegangen. Es ist entweder von den Klamotten in den Rucksäcken aufgesogen worden oder nach und nach durch die Planken hindurchgesickert. Ich rekele mich, als allen Ernstes ein paar erste Sonnenstrahlen durch die dichte Wolkendecke lugen. Was für ein Klischee, denke ich, oder ist es doch ein Zeichen...? Mein Körper tut von oben bis unten weh. Die Anspannung - samt Kälte und Nässe - hat alle Teile meines Leibes über Stunden fest im Griff gehabt. Jetzt fällt alles nach und nach ab und Bewegung täte gut. Im Bauch unserer Nussschale ist das Leben zurück: Menschen stehen auf, einige klettern seitlich zum Deck hinauf, der Stimmenpegel hebt sich an. Während Magda das ruhige Gleiten des Schiffes genießt und noch den Magen schont, bewege mich zum Bug des Schiffes. Das Boot schippert jetzt seelenruhig durch den Hafen in den Tha Thaphap-Fluss hinein. Die Besatzung tut so, als wäre nichts gewesen und geht ihrem Job nach. Ich stehe an der Spitze des Schiffes in der Sonne und freue mich über jeden wärmenden, auch trocknenden Strahl. Vorbei an unzähligen befestigten Fischkuttern, die eng an eng an den Ufern des Flusses liegen, fahren wir mit schwer tuckerndem Motor der Strömung entgegen. Das von Sedimenten angereicherte, fast orangefarbene Wasser des Flusses steht sehr hoch. Es hat also auch auf dem Festland viel geregnet und das Wasser drückt nun zum Meer hin. Fischgeruch liegt in der Luft... Unser Schiff hat arg zu kämpfen gegen den Strom, wir sind im Zeitlupentempo unterwegs. "Sollen wir ein bisschen schieben?" fragt ein sichtlich erleichterter Traveller neben mir, dem nach der beklemmenden Überfahrt nun wohl ein übermütiger Schalk im Nacken sitzt. Er hat ein paar Lacher auf seiner Seite, als plötzlich unerwartet die Maschine stoppt...
Manövrierunfähig schießen wir auf die vertäuten Schiffe zu...
Noch etwas besoffen von der Freude, das Festland erreicht zu haben, noch geblendet von den Strahlen der Sonne, braucht es einige Momente des Begreifens: Die Strömung des Flusses drückt uns - ohne Gegendruck unserer Schraube - in Sekundenbruchteilen zur Mündung zurück! Wir merken es vor allem an folgenden Dingen und wir merken es schneller als es sich hier liest: Zuerst fühlt es sich plötzlich ganz komisch an, als der tuckernde Diesel plötzlich still steht und man erst jetzt gewahr wird, wie stark die Vibration - an die wir uns schon gewöhnt hatten - während der Fahrt gewesen ist. Glaubt man dann im ersten Moment noch, das könnte ja alles so geplant und beabsichtigt sein, belehren uns die hysterischen Rufe aus dem Hintergrund und die eiligst herbeieilenden Bootsleute vom Gegenteil: Sie schieben uns - die wir hier vorn plötzlich im Wege stehen - wild gestikulierend und hektisch zur Seite und werfen klirrend den Anker aus... In den Augenwinkeln beginnen Wellblechhütten sich nun links und rechts von uns in die falsche Richtung zu bewegen... Das Manöver schlägt fehl... Wir sehen es direkt in den rückwärtsgewandten Augen der Seeleute, aus der die blanke Panik kriecht... Und jetzt, da wir uns umwenden und neugierig auf das blicken, was sie gerade sehen, da erkennen wir es auch: Das Schiff schießt in der starken Strömung manövrierunfähig rückwärts den Fluss hinab... Wir rasen auf die Flusskehre zu, die wir gerade erst passiert hatten. In ihr liegen ein paar vertäute Fischerboote, die jetzt schnell näher kommen...
Ich blicke in das Schiff hinein. Unten sitzt Magda und schaut erschrocken zu mir hoch. Ihr Blick ist fragend, das vorgestellte Unheil unsagbar... Mein Kopf fährt zurück: Die Männer ziehen jetzt voll Hektik und unter großem Kraftaufwand den Anker rasselnd wieder ein - sie sind jetzt zu dritt, ein Handgriff nach dem anderen sitzt. Als der Anker tropfend greifbar ist, schmeißen sie ihn erneut mit voller Wucht und technisch routiniert zurück in den Fluss. Es spritzt und platscht kurz darauf, ich vernehme Spannung auf der Kette und pralle ruckartig gegen die Wand hinter mir zurück. Unten landen einige schmerzvoll im Wasser... Wir werden langsamer, aber noch immer scheint der Anker nicht voll zu greifen. Im schlickigen Sand findet das schwere Metall offenbar keinen festen Halt. Doch wir haben ein zweites Mal an diesem Tag Riesenglück: Jetzt springt der Motor wieder an... Die Maschine dreht auf, die Schrauben müssen jetzt auf Hochtouren drehen... Mit all seiner Energie stemmt sich das Schiff nun gegen die Schussfahrt und bremst unseren Rückwärtsgang merklich aus... Wir schaffen es kurz vor Erreichen der Flussbiegung, kurz bevor wir tatsächlich in die liegenden Fischkutter hineinkrachen, die Fahrtrichtung zu drehen... Ich atme aus. Das Schiff schippert kontrolliert dem Strom entgegen. Die Seemänner feixen, als sie unsere Gesichter sehen... Aber sie sind selbst erleichtert.
Für mich war's das an diesem Tag... Dieser letzte Akt war schlicht zu viel des Guten! Ende! Tatsächlich erinnere ich mich - das kann ich heute sagen - an die nächsten Minuten überhaupt nicht mehr... Da kann ich machen, was ich will, die sind weg. Filmriss...
Land unter Wasser - Chumphon ist überschwemmt
Meine Erinnerung war erst wieder da, als wir am Pier der heutigen Transportgesellschaft Siam Catamaran ankamen und mit bleischweren, voll Wasser gesaugten Rucksäcken auf das Yang Hotel starrten, das gute 50 Meter weit von uns entfernt lag und dessen Aufschrift wir aus der Ferne wahrnahmen. Hieß es schon damals so? Ich weiß es nicht.
Von unserem Standpunkt auf dem Boot bis zum Hotel und weit darüber hinaus sahen wir bei Anlandung ausschließlich Wasser! Gelb-orangenes Wasser... Wohin wir blickten: Alles überschwemmt. Ich weiß nicht warum, aber ich lief zielsicher zu diesem Hotel hin und wusste intuitiv , dass hier erstmal Endstation ist. Ich hielt Magda an der Hand, als wir die schmale Bohle vom Boot zum vermeintlichen Festland verließen und war mir nicht sicher, ob ich beim nächsten Schritt ins Leere oder auf den Pier auftreten würde, so trübe war die Brühe. Das Wasser stand kniehoch, wie ich schnell merkte und so tastete ich mich weiter Schritt für Schritt voran. Ich hatte keinen Zweifel, dass es der richtige Weg war - aber woher eigentlich? Es war doch ein Bustransfer direkt nach Bangkok geplant... Egal, ich funktionierte, auch wenn ich halb über die im Wasser verborgene Treppe zum Hoteleingang stolperte, in Trance die Tür öffnete und ein Zimmer im ersten Stock mietete. Ich wollte jetzt nur noch da rein. Und das schaffte ich auch. Wir waren erstmal angekommen...
Auch wenn der Wasserstand am Tag darauf - es war ein durch und durch trüber Tag - nicht weiter stieg, ja sogar leicht zu sinken begann, blieben die nächsten Stunden spannend: Fragen über Fragen: Was wird denn jetzt aus uns? Wie kommen wir hier raus? Und was sind die nächsten Schritte? Doch die Verantwortlichen der Transportgesellschaft hielten uns hin und suchten uns zu beruhigten: Hier werde in den nächsten Tagen erstmal gar nichts mehr gehen! sagten sie. Das Land stehe unter Wasser, die Straßen seien unpassierbar, in manchen Gegenden der Region seien sie sogar unwiederbringlich zerstört. Wir seien hier in Sicherheit und sollten abwarten. Man kümmere sich...
Kein Strom, kein Telefon!
Eine Reihe von Gästen aber hielt es nicht in unserem Asyl. Sie wollten irgendetwas tun, denn sie hatten ihren baldigen Rückflug im Nacken und konnten nicht telefonieren... So einfach war das Problem im Jahre 1997 in Thailand - ohne Mobilfunknetz und Internet - nun wirklich nicht zu lösen... "Man muss doch wenigstens die Botschaften und Fluggesellschaften informieren!", hörten wir hier. "Lasst uns selbst nach einen Ausweg suchen!", hörten wir dort. Einige Traveller unternahmen folglich alle Anstrengungen, eine Verbindung zur Außenwelt herzustellen... Das Telefon im Hotel war tot, wie überhaupt jeglicher Strom ausgefallen war. Der Versuch eine alte Funkanlage anhand einer Autobatterie (sic!) wieder zu starten, misslang... Zum Glück gelang es am Ende des Tages ein antikes Münztelefon, draußen bei der überdachten Wartezone, wieder zu aktivieren und tatsächlich Draht zu ein paar Botschaften aufzunehmen... Ein Hoch auf die gute alte Telefonzelle... Doch auch vom deutschen Botschaftsvertreter gab es die gleiche Antwort auf die Lage: Abwarten, froh sein, dass man sich in Sicherheit befinde, man tue, was man könne... Dachten sie wirklich, die schicken uns Hubschrauber...? Egal... Eine Gruppe junger Franzosen machte sich weiter daran uns zu retten... Sie würden die Umgebung erkunden und eigenhändig nach Wegen aus den Fluten suchen... Und sie waren voller Tatendrang... Man versuchte sie aufzuhalten, ließ sie aber letztlich gewähren... Wir sahen sie aus unserem Fenster heraus in der Ferne verschwinden - bis zur Hüfte in Wasser getaucht, sich nur mühsam in dem unbekannten Terrain voran tastend...
Heiß, feucht und muffig - das Notlager am Pier
In der Erinnerung sehe ich uns jetzt beruhigt und weitgehend regeneriert in unserem Hotelzimmer auf dem Bett sitzen. Wir waren geduscht, umgezogen und wieder guter Dinge, auch wenn uns der Schreck noch in den Gliedern saß und das Erlebte in uns arbeitete. Wir wussten, dass es derzeit keinen Weg von hier nach Bangkok gab, weil ganze Teile im Süden des Königreichs überflutet waren - aber das spielte jetzt keine Rolle für uns. Wir saßen inmitten einer weitflächigen Überschwemmungskatastrophe, von der man sonst nur im Fernsehen hörte. Ein Blick aus dem Fenster zeigte das anschaulich: Wo eigentlich eine Straße sein sollte, fuhren die Menschen in Holz- oder Schlauchbooten. Wir sahen Männer und Frauen bis zum Hals im Wasser waten. Sie schoben balancierend Gegenstände in Waschbottichen über die Fluten oder transportierten ihre Kids in allem was schwamm... Das Land war abgesoffen. Wir dagegen saßen im Trockenen...
Unser Zimmer hängt voll nasser Wäsche. An einer Wäscheleine kreuz und quer durch den recht kleinen Raum haben wir all unsere vollkommen durchnässten und schwer muffelnden Klamotten zum Trocknen aufgehängt. Ein bisschen ekelig, muss man sagen, aber was soll man tun? Das wichtigste ist mit der Hand gewaschen, der Rest soll einfach nicht gammeln und erst in Bangkok gewaschen werden. Ich schaue auf die Klimaanlage am Fenster, die zu allem Überfluss abgeschaltet war - Kurzschlüsse, angesichts all des Wassers im Haus, verursachten einen totalen Stromausfall. Die Luft im Zimmer - ein Fenster kann man hier wegen der Hitze draußen kaum öffnen - ist unerträglich heiß, verbraucht und feucht. Mosquitos schwirren im Raum umher und wittern ein Festmahl. Ein einziger Gestank steht im Raum und der Aufenthalt in ihm ist kein Vergnügen... Aber: Wir haben wenigstens einen... Wir wissen, dass nicht alle Menschen aus dem Boot ein Zimmer hier - im weit und breit einzigen Hotel - bekommen konnten. Entlang des breiten Flures im ersten Stock - das Erdgeschoss steht teils unter Wasser und höher geht es nicht - haben viele Passagiere des Schiffes ihr Notlager aufschlagen müssen. Sie schlafen jetzt drei Nächte auf dem Flur... Glück im Unglück, sagt man da wohl und selten hat man in derart versiffter Lage noch so viel Zufriedenheit verspürt...
Unterdessen lernt man sich auf den Fluren kennen... Noch immer sind die Überfahrt und die Bedrohung auf dem Schiff ein dominantes Thema... Aber auch Reiseerlebnisse und Erfahrungen mit dem Land kommen zunehmend zur Geltung und das übliche Touristengeschwätz ist schneller zurück, als es die tief einschneidende Erfahrung hatte vermuten lassen. Wir werden ausreichend mit Getränken und Nahrung versorgt, sind dafür wirklich dankbar und nicht anspruchsvoll. "Reis mit Scheiß", heißt die tägliche Ration, macht aber satt... Man informiert einige Fluggesellschaften über die missliche Lage der Touristen vor Ort und die Rückmeldungen der Airlines sind für alle sehr beruhigend: Wer immer seinen Flug aufgrund der Fluten verpassen sollte, der werde kostenlos umgebucht! Wir haben ja eh noch ein paar Tage Spielraum und sind jetzt doch sehr zufrieden, dass wir das letzte Boot genommen haben... Wie schnell man einen solchen Schock verdaut, ist erstaunlich. Als die Franzosen am Abend unbeschadet, aber sowohl nass als auch enttäuscht zurückkommen, von weitgehenden Überflutungen und einer ziemlich aussichtslosen Lage berichtend, stellen wir uns auf viele Tage des Wartens ein... Doch schon am kommenden Morgen werden wir überrascht:
Der Wassermarsch
Noch immer steht das Wasser überall, denke ich, aber es ist merklich zurückgegangen... Beim Blick aus dem Fenster sehe ich, dass das Wasser einer Frau bis zur Hüfte steht. Noch gestern wäre sie mit ihrer Größe sicher abgesoffen. Wir haben Hunger und machen uns auf den Weg nach unten. Schon während des anschießenden Frühstücks macht ein Gerücht die Runde, das in kurzer Zeit alle infiziert: In einigen Kilometern Entfernung evakuiere das thailändische Militär die Menschen aus der Überschwemmungszone, sagt uns ein Tischnachbar, der das selber gerade erst von dem und dem erfahren haben will. Man müsse sich nur bis dorthin selbst durchschlagen. Und das sei ohne weiteres möglich, heißt es... "Dorthin?" frage ich. "Was heißt den das?" Er weiß es auch nicht und verweist auf die Franzosen...
Aufregung bestimmt das weitere Geschehen... Kann man dem Glauben schenken? Von wem stammt diese Nachricht überhaupt? Und was heißt denn bitte schön 'durchschlagen'? Als wir die ersten Traveller das Hotel mit Sack und Pack verlassen sehen - es sind unsere Freunde aus Frankreich -, haben sich ihnen bereits einige Reisende unserer Gruppe angeschlossen. Da die kursierenden Informationen auch von den Verantwortlichen im Hotel zumindest nicht bestritten werden und wir ganz sicher nicht allein hier zurückbleiben wollen, kommt mal wieder Hektik auf... Wir verfallen in eine Torschlusspanik. Wir sammeln in Rekordtempo unsere nach wie vor nass-feuchten und stinkenden Lumpen von der Leine, packen unsere klammen Rucksäcke und brechen ein wenig kopflos auf. Ohne zu wissen, wohin wir überhaupt laufen sollen, waten wir durch knietiefes Wasser die Straße vor unserem Hotel entlang - immer die Leute vor uns im Blick, immer den anderen durch orange-gelbes Wasser hinterher... Wohin wir in unseren Trekkingsandalen treten, sehen wir nicht, aber es soll hier eine Straße sein... Mal sinkt der Wasserstand auf Knöcheltiefe, mal steigt er bis zur Hüfte - je nach Topographie der Landschaft eben... Der Rucksack ist schwer und wird mit jedem Meter immer schwerer... Die Hitze macht uns ordentlich zu schaffen, sie ist heute - wenigstens gefühlt - noch krasser als gestern. Die hohe Luftfeuchtigkeit wirkt noch schwüler als sonst. Es beginnt mal wieder leicht zu nieseln, als hunderte Zikaden in dem Palmenhain rechts von uns - wie auf Kommando - ein ohrenbetäubendes Konzert starten...
An einer Kreuzung machen wir unsere erste Rast. Ich schwitze extrem in der feucht-heißen Luft und alles an mir läuft Richtung Boden... Das schlimmste aber ist wie immer die schlierige Brille, die ich mal wieder säubere, um klarer zu sehen... Eine Brücke hebt sich über den breit und hoch angeschwollenen Tha Thaphap-Fluss hinweg und bietet ein paar Minuten trockene Füße. Es hat auch zu regnen aufgehört. Wir schauen uns um: Der Fluss wirkt von hier oben wie ein sich in alle Bereiche ausdehnender See. Von der Brücke aus scheint er zum Greifen nah. Die Menschen in den umliegenden Häusern - ich sehe einen offenen Laden und zahlreiche Häuser aus Stein - machen einen entspannten Eindruck. Von Verzweiflung keine Spur. Der offene Laden steht zwar unter Wasser, aber die Menschen darin gehen ihrer Arbeit nach. Sie sind überrascht uns hier zu sehen und winken uns zu: "Was macht Ihr hier?", fragt ein älterer Herr auf englisch und macht freundlich in Konversation. Er winkt ab, als wir unser Bedauern über den Zustand seines Ladens ausdrücken: "Wir kennen das doch schon und leben damit", sagt er. "Für uns Routine". Er lacht sarkastisch und geht seiner Wege.
Unter normalen Umständen werden sie in dieser Gegend sicher wenig Touristen zu sehen bekommen, denke ich. Von unten weht ein betörender Duft nach frischem Gebäck zu uns hoch. Aber wir müssen weiter und stapfen die Brücke hinab in die gelbe Brühe hinein... Da die Straße, auf der wir uns bewegen, aber recht breit ist, können wir gut laufen ohne je in ein Loch und nur selten auf etwas undefinierbares zu treten... Einmal nur erwische ich schmerzhaft einen großen Stein und stauche mir den kleinen Zeh, der sich aber schnell erholt.
Bis zur Hüfte im Wasser, als eine Schlange auf mich zu schwimmt...
Gerade will ich Magda auf die vielen kleinen Hütten, da hinten, unter Palmen, aufmerksam machen, die bis auf das Dach in Wasser versunken sind und auf der einige Frauen buchstäblich auf ihren Dächern sitzen, als mir der Atem stockt. "Unglaublich", will ich sagen, "sie kochen darauf, sie kochen auf den Dächern ihrer Hütten..." - doch mir versagt die Stimme... Eine braune Schlange von gut einem Meter Länge - ein Meter kann sehr lang sein - steuert von der Seite her bedrohlich auf mich zu und scheint direkt meine Beine zu taxieren. Sie schwimmt in den sprichwörtlichen Schlangenbewegungen in derart krassem Tempo in meine Richtung, dass mein Herz aussetzt. Ich falle in hektischem Ausweichmanöver beinahe über meine eigenen Füße in das Wasser und kann mich bei dem Sprung zur Seite gerade noch halten... Ich wäre mit allem Sack und Pack im Waser gelandet... Zum Glück wendet sie sich jetzt von mir ab und verschwindet nach hinten weg. Magda wendet sich irritiert um. Ein fragender Blick: Ist was? - "Alles gut!" sag ich und atme nach gefühlter Ewigkeit aus... Ich beschließe, Magda, die vor mir tapfer ihren Weg beschreitet, mal besser zu verschonen. "Schau mal" sage ich zu ihr, "die Frauen da hinten...!" Mein Blick aber wandert konzentriert um meine Beine herum...
Einige Kilometer liefen wir so, zeitweilig bis zur Hüfte, meist bis zu den Knien im Wasser... Kinder begleiteten uns ein Stück oder winkten aus dem Off, hier und da badeten sie in dem Wasser, als wäre all das hier einzig dafür gemacht... Doch die Lage der Menschen hier war natürlich angespannt. Es hat sie deutlich härter getroffen als uns, denn sie saßen buchstäblich im Wasser. Ganze Hausstände lagen in den Fluten und doch schienen die Menschen hier ausharren zu wollen. Im Hintergrund hingen Hängematten zwischen den Palmen - Notfallbetten, die die völlig überfluteten Schlafstätten in der Nacht ersetzen sollten. Immer wieder mal streifte etwas meine Beine und ich sprang - soweit es mein Rucksack zuließ - hysterisch in die Höhe. Nie aber konnte ich erkennen, was es denn war, denn das Wasser blieb trübe... Es wurde nun aber immer flacher und stand irgendwann nur noch links und rechts der Straße... Wir liefen ein ganzes Stück auf freiem Asphalt, bevor das Wasser die Straße erneut überragte...
Die verhinderte Evakuierung durch das Thailändische Militär
Es dauert jetzt nicht mehr lang, als sich Militärequipment sich von Weitem ankündigt... Zelte, LKW's und zahlreiche Schlauchboote sehen wir, als wir ankommen. Wir werden durch Handzeichen auf die rechte Seite gewiesen, wo hinter einer Absperrung bereits einige der bekannten Gesichter warten... Mehr Informationen haben wir erstmal nicht. Nach einiger Zeit erhalten wir Wasser und Verpflegung, die Soldaten sind pflichtbewusst und freundlich, verstehen uns aber mit keinem Wort oder besser: Ich verstehe sie nicht... Ich halte mich also an andere Traveller, merke aber schnell, dass auch sie im Grunde keine Ahnung haben, was hier passiert. Ich schaue mich um: Auf der anderen Seite der Absperrung - wir sitzen inzwischen auf unseren Rucksäcken, schaufeln Reis und versuchen uns einen Reim auf das Geschehen zu machen - sehen wir nur noch einige wenige Thais, die nach und nach in die Boote geleitet werden. Offensichtlich haben doch zahlreiche Thais vor den Fluten kapituliert und werden aus der Zone gebracht. Mit der Zeit wundere ich mich, warum das so elendig langsam geht, denn die Schlauchboote stehen ja direkt vor ihnen, sind schon lange abfahrtbereit. Nur sehr schleppend geht alles vonstatten und von unserer Gruppe ist noch kein einziger Mensch in einem Boot gelandet. Immerhin legt nun ein weiteres Boot ab und fährt in das gelbe Wasser hinein... Na, vielleicht geht ja jetzt was...?
Gut zwei Stunden sitzen wir so, warten, nichts passiert, als die ersten Soldaten zu unserer Überraschung mit den LKW's abzufahren beginnen. Von der anderen Seite kommen zwei Soldaten auf die Touristengruppe zu. Wir rücken zusammen, Aufbruchstimmung. Und doch große Enttäuschung: Sie bedeuten uns, dass es das für heute gewesen ist. Vorbei. "Hotel, Hotel" sagt er noch und weist in die Richtung, aus der wir gekommen sind... "Hotel!" sagt er erneut, denn englisch spricht er nicht. Magda und ich schauen uns an, dann jeder jeden. Ich glaube das nicht und kann ein Fluchen kaum unterdrücken... Alles umsonst? Magda ist ein wenig fassungslos und setzt sich erstmal wieder hin. Ich kann ihre Enttäuschung verstehen. Ein paar Minuten schnaufen wir durch und geben dem Optimismus wieder Raum: Wir blicken uns an, zucken mit den Schultern und schmunzeln gemeinsam... Warum glauben wir eigentlich allen Scheiß...
Während die Franzosen noch diskutieren und beschließen, die Soldaten durch ihren Verbleib zum Handeln zu zwingen - wir alle sollen mitmachen, sagen sie, "Solidarität" höre ich noch - herrscht um uns herum eher Aufbruchstimmung. Man sei ihnen jetzt lange genug hinterhergerannt - bis hierhin und nicht weiter! Überraschenderweise herrscht trotz der bitteren Pille, die die Nachricht für uns alle bereitete, ausgezeichnete Stimmung jetzt. Ein paar Scherze werden gemacht und vielleicht erinnert sich jetzt doch der ein oder andere daran, dass wir gerade erst sehr viel Glück gehabt hatten... So sei eben das Laben! Dann halt zurück! Auch kommt gerade die Sonne zum Vorschein und ist Balsam für die leidgeplagte Seele... Wir machen uns auf den Rückweg - es ist ein langer Weg und der Tag ist nicht mehr der jüngste... Bloß nicht der letzte im Hotel sein, sonst lande man noch auf dem Flur heute Nacht...
Ein süßer Triumph am Abend
Wir schließen uns einer größeren, gut gelaunten Gruppe an. Die Sonne scheint nun aus einem blauen Himmel auf uns nieder, von Wolken keine Spur mehr. Was das ausmacht: Wir sind zwar durch und durch erschöpft, finden aber auf geheimnisvolle Weise genug Kraft, um mit den anderen gemeinsam den Weg ohne weitere Probleme zurück zu laufen. Das Wasser auf der Straße ist bereits weiter abgesunken und macht das Laufen nun doch wesentlich einfacher und schneller. Bald schon sehen wir die große Brücke und unsere Stimmung steigt: Wohl nur noch gut 20 bis 30 Minuten von hier aus... Als wir die Straße nach links abbiegen, spiegelt sich das Licht der Sonne in den Pfützen am Boden. Zikaden heben erneut zu einem ohrenbetäubenden Zirpen an. Ein betörender Duft nach süßem Gebäck erreicht jetzt unsere Nasen... Crêpes! Eine junge Frau verkauft in einer nun schon fast vollständig vom Wasser befreiten Hütte diese wundervollen thailändischen Crêpes aus Reismehl - mit Banane und süßer Dosenmilch... Da können wir nicht widerstehen... Verdient ist verdient!
Ich erinnere mich gut an den Geschmack dieses kleinen Pfannküchleins, er wird uns unvergessen sein.
Das Highlight dieses Tages, die Freude darüber, dass wir gleich am Ziel sein werden, es kulminiert in diesem kleinen kulinarischen Triumph... Wir sitzen auf einem Plastikstuhl, genießen erstmals seit Tagen das Orange der langsam untergehenden Sonne auf dem Gesicht und genießen das süße Teilchen... Großes Glück ist manchmal ganz klein...
Ende gut, alles gut!
Am kommenden Morgen fuhren einige Kleinbusse auf dem Gelände der Schifffahrtsgesellschaft vor, die nun offenbar den Weg hierher wieder passieren konnten und nun auch tatsächlich für uns gedacht waren... Sie würden uns - auf teils zerstörten, aber immerhin befahrbaren Straßen zurück nach Bangkok bringen, wo wir jetzt erst das ganze Ausmaß der Katastrophe, in die wir da unfreiwillig hineingeraten waren, anhand von Zeitungs- und Fernsehberichten zu begreifen begannen. Die Gazetten kannten gar kein anderes Thema als die Überschwemmungen im Süden des Landes, in der zahlreiche Menschen in den vergangenen Tagen ihr Leben verloren hatten... Wir dagegen hatten Glück...
Wir verbrachten noch zwei Tage in der Khao San Road zum Waschen, Entspannen und Pflegen, bevor wir problemlos nach Indonesien weiterflogen.
Heute können wir sagen: Wir hatten unser unvergessliches Abenteuer!
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