Slow travel Südamerika - Bolivien
21.04.2020, von Jörg Schwarz
Zu den beeindruckendsten und spannendsten Regionen Boliviens gehört das zerklüftete Hochland zwischen Potosí und Cochabamba. Wir reisen vom mehr als 4.000 m hoch gelegenen, Geschichte umwitterten aber auch unwirtlich-kühlen Potosí zunächst ins deutlich wärmere und mondänere Sucre (2.808 m), besuchen paläontologische Sensationen, tanzende Cholitas während des Virgen de Guadalupe Festivals und wandern über Inkatrails und fantastische Landschaften in den Crater Maragua. Anschließend machen wir uns auf in die Stadt des ewigen Frühlings - nach Cochabamba - und genießen in angenehmem Klima die schönen Plazas und ihren kolonialen Charme. Erst nach Tagen des Müßiggangs brechen wir erneut in die atemberaubende Natur des Hochlands auf, trekken im ToroToro-Canon, erkunden die steinernen Zeugnisse der Dinosaurier und erliegen dem Charme des wundervollen Nationalparks. Ein fabelhaftes Stück Bolivien: Voll bewegter Geschichte und lebendiger Gegenwart, gesegnet mit herausragender Natur und kulturellen Höhepunkten... Ein Top-Ziel in Südamerika!
Potosí: In der einst 'Reichsten Stadt der Welt' - oder doch lieber 'Tor zur Hölle'?
Wir besuchen das sagenumwobene Potosí und erreichen die heute bettelarme Stadt an einem bewölkten Nachmittag. Es ist kalt und ungemütlich und die Höhe nagt an unserem Wohlbefinden, als wir, auf den Bus wartend, an der Haltestelle stehen. Auf einer Höhe von 4.000 m und mehr liegend, gehört Potosí - UNESCO-Weltkulturerbe - wahrlich nicht zu den klimatisch angenehmeren und lebensfreundlicheren Städten Boliviens, wie wir sie in den kommenden Wochen noch kennenlernen werden. Diese Erkenntnis kommt schnell und unvermittelt und sie verdichtet sich in den folgenden Tagen...
Wir schauen uns am grau wirkenden Busbahnhof um und sehen zahlreiche Cholitas mit ihren typischen Bowler-Hüten, mehrschichtigen Röcken und bunten Decken, die sie als Wickel-Tragesäcke verwenden und nun zumeist vor sich hin abgestellt haben. Vom harten Lebensalltag gezeichnete Männer stehen in zerschlissener Arbeiterkluft vor uns am Straßenrand und halten nach dem Bus Ausschau, in den wir uns gleich alle hineindrängen werden. Staub liegt in der Luft und ein Geruch von vergorenem Mais. Wir sehen kaum ein Lächeln in der Menge, die Menschen schweigen - wie zumeist - und gehen - weitgehend isoliert voneinander - ihren Gedanken nach. So ist er nun mal, denke ich, der Lebensalltag und hier scheint er noch ein bisschen härter zu sein - die Armut dieser Menschen springt uns förmlich an... Wir erkennen - einmal mehr auf dieser Reise - das Glück der eigenen gegenwärtigen Lebenssituation und sehen diesem Fakt jetzt ungeschminkt ins Gesicht. Freude lässt das allerdings nicht aufkommen - eher schon scheucht es einen Schauer über den Rücken... Ein eisiger Wind weht uns nun in Form einer heftigen Böe um die Ohren und der Straßenlärm lässt den Moment noch unwirtlicher erscheinen. "Hoffentlich ist er gleich hier, dieser dämliche Bus!", höre ich Magda neben mir sagen und sich vor Kälte schütteln.
Der erste Eindruck den wir von Potosí haben, ist wirklich kein angenehmer.
Auf den zweiten Blick aber - und mit Abstand von ein paar Tagen - sind wir von der Stadt mehr als fasziniert und froh, dass wir den Weg hier herauf gefunden haben. Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, in der das historische Erbe der Stadt uns so sehr in seinen Bann gezogen hat, in dem wir seine Widersprüchlichkeiten und Extreme so sehr am eigenen Leib erspürt und vernommen haben, wie dieses hier. Die Geschichte Potosís ist spannend wie ein Thriller und führt uns zunächst zurück in die Zeit der Spanischen Kolonialherrschaft, die man hier überall aufspüren und finden kann. Es ist jenes "Goldene Zeitalter Boliviens" in der die spanischen Eroberer Potosí zur "größten und reichsten Stadt der Welt", zur "Schatzkammer Lateinamerikas" entwickelten. Um 1650 n.u.Z. ist die Stadt mit rund 160.000 Einwohnern größer als Paris, Rom oder Madrid zur selben Zeit in Europa - und sie ist mutmaßlich wohlhabender, dynamischer und lebenswerter als jene drei. Zu verdanken hat Potosí diese Bedeutung vor allem dem Silber und anderen Erzen des berühmten Cerro Rico, jenem 4.800 m hohen Berg direkt vor den Mauern der Stadt. Obwohl heute von tausenden unterirdischen Tunneln und Schächten durchzogen, stellt er nach außen hin noch immer eine makellose Schönheit dar, wie wir immer wieder sehen. Der Berg ist allgegenwärtig, seine Aura - erst recht wenn man seine Geschichte kennt - einzigartig.
Durch und durch mit unvorstellbar großen Silber- und Zinnadern durchzogen, wurde der Berg zur Schatztruhe des Spanischen Imperiums und im Auftrag der Krone weitgehend ausgebeutet. Und die Beute war reich. Definitiv kein anderer Minenstandort Amerikas hat dem Spanischen Imperium mehr Gewinne eingebracht als die Minen in diesem Berg, keine andere Mine hat zugleich ihre Betreiber derart reich gemacht. Ihr Wohlstand hat legendäre Dimensionen erreicht und das sieht man der Stadt - alt wie ihre Gebäude auch sein mögen - noch heute an: Spaziergänge durch die bunten Gassen des Zentrums mit ihren hölzernen Balkonen und kolonialen Mauern verzücken uns, lassen die reiche Pracht vergangener Tage nachvollziehen. Sie zeigen aber auch den Zerfall der alten Bauwerke, das Nagen am Zahn der Zeit und das Fehlen finanzieller Mittel, um den drohenden Niedergang dieser Substanz nachhaltig und angemessen aufzuhalten. Potosí ist wunderschön, da gibt es keine Zweifel - sie wird aber wohl in nächster Zeit keine Lieblingsstadt des Massentourismus sein. Neben ihrem unwirtlichen Klima ist vor allem ihre heutige soziale Lage prekär und wir spüren das an jeder Ecke und in beinahe jedem Gesicht...
Für den Reisenden ist Potosí gleichwohl ein must-see. Da ist natürlich in erster Linie die sehenswerte Architektur und der altehrwürdige Charme der Stadt des 17. Jahrhunderts selbst. Da sind aber eben auch diese fabelhaften Museen - u.a die atemberaubend spannende königliche Münzprägeanstalt Casa de la Moneda, in welcher die Krone das hier gewonnene Silber gleich zu Münzen verarbeiten ließ, das noch heute betriebene, sagenhaft ausgestattete und interessante Kloster Convento de Santa Teresa aber auch viele weitere Museen, historische Gebäude oder Kirchen -, die auf unnachahmliche Weise die Geschichte des kolonialen Dramas der Stadt erzählen. Sie erzählen von Triumphen und extremen Höhen und sie berichten von ihren Schattenseiten - und die Schatten in Potosí sind wahrlich lang und dunkel. Denn was die "Reichste Stadt der Welt" für die Einen gewesen ist, das war sie ganz und gar nicht für die Anderen: Für die Indigenas, die Jahrhunderte lang unter unvorstellbaren Bedingungen zur Arbeit in den Minen zwangsverpflichtet wurden - war Potosí das "Tor zur Hölle". Man kam aus ihr - einmal hineingelangt - nicht mehr lebendig heraus. Die knüppelharte Arbeit Untertage - im "Berg, der dich lebendig frisst" - war in der Höhe nur unter dem Einsatz von reichlich Koka überhaupt zu ertragen und sorgte bis zum 18. Jahrhundert für den Tod von ca. 8 Millionen Indigenas. Es kommt uns während all der Tage in Potosí und trotz der schönen Seiten der Stadt oft so vor, als trüge die Stadt die Bürde und Last dieses schrecklichen Schicksals noch heute mit sich herum. Eine gewisse Schwere lastet auf ihr... Oder eben auf unserer Seele, angesichts dieses millionenfachen Unrechts...
Als die Silberadern im 18. Jahrhundert versiegten, fiel die Stadt zunächst in Bedeutungslosigkeit - gerade einmal 10.000 Menschen blieben in ihr zurück. Die Stadt und das Umland waren durch den Einsatz von Quecksilber und anderen Substanzen so vergiftet, dass ein Leben - noch dazu ohne Arbeit - hier keinen Sinn mehr ergab. Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch kommt es zu einem erneuten Aufschwung, als nun der Abbau von Zinn in Mode kommt und in großem Stil gefördert wird. Erneut profitieren nur einige Wenige von den Minen, erneut werden sie unschätzbar reich, während alle anderen in Armut und Elend verbleiben... Der Berg - nach dem abermaligen Niedergang der Stadt nun seit 1952 endlich vergemeinschaftet - wirft heute kaum noch nennenswerten Ertrag ab. Einige Bergbaukooperativen suchen nach den letzten Krumen Erz, die unter großem Aufwand und nur mit erheblichem Risiko gewonnen werden.
Statt wie früher in den Stollen einfach den Adern zu folgen, muss heute fast jeder Stein aufgesprengt werden, um zu sehen, ob er etwas wertvolles enthält. Es wird geschätzt, dass mittlerweile etwa 5.000 schlecht registrierte Gänge in den Berg getrieben wurden - niemand weiß genau, wo sie sich befinden und wie sie konkret verlaufen. So durchlöchert wie der Berg heute ist, ist es nur eine Frage der Zeit, wann mal wieder Gänge einstürzen. Wir hören, dass es weit weniger riskant wäre, den Berg einfach von oben nach unten abzutragen, aber die Stadtoberen möchten auf Ihr Wahrzeichen nicht verzichten... Allein die Tatsache, dass außerhalb des Berges rund um Potosí kaum ein Grashalm wächst und Jobs rar sind, lässt die von Armut getriebenen Menschen weiter in den Minen schuften. Nach wie vor ist der Bergbau in der Stadt also ein Faktor, auch Touristen steht "die Einfahrt in die Hölle" offen. Wir fragen uns, ob wir selbst den Tunneln unter Tage folgen wollen - das Angebot gilt bei vielen Reisenden als DER KICK - doch wir entscheiden uns dagegen: Nicht nur erscheint uns das persönliche Risiko hoch, wir empfinden dieses Angebot - angesichts der existentiellen Zwänge der Menschen unter Tage - auch etwas pietätlos: Wo andere um das Überleben kämpfen und schuften, müssen wir keine Selfies schießen...
Potosí beschäftigt uns während all der Tage, die wir hier sind, immens. Wann immer wir durch die Stadt schlendern und ihrer Historie - oder mehr noch - ihrer Gegenwart bewusst werden, arbeitet es in uns. Ihren Niedergang und was es mit dem einst so bedeutenden Ort und seinen Menschen macht, spüren wir unentwegt. Diese Stadt lässt keinen kalt, sie fasziniert und lässt schaudern, begeistert und schockiert. Sie ist heute sicher keine Wohlfühloase und doch extrem besuchenswert. Wenn es uns nun gleichwohl weiterzieht, dann ist es vor allem die Kälte hier oben, die uns in all unseren Gliedern steckt und kaum noch weichen will. Wir folgen darin den Zinkbaronen des 18. Jahrhunderts, die mit dem Erz des Cerro Rico und auf dem Buckel der Indigenas reich geworden sind, um sich anschließend in die deutlich tiefer und damit wärmer gelegenen Gefilde Sucres abgesetzt haben. Potosí hat auch uns reich gemacht - wir sind von den Facetten ihrer spannenden Geschichte fasziniert - machen uns nun aber auf den Weg in die "Weiße Stadt"...
Das mondäne Sucre - Chillen in der Weißen Stadt
Unterschiedlicher könnten Städte kaum sein: Hier das kalte und unwirtliche Potosí, dessen prekäre soziale und wirtschaftliche Lage mit Händen zu greifen ist, dort das weiß getünchte und deutlich wärmere Sucre, dessen weltoffeneres Flair uns sogleich einen viel leichteren Lebensstil ermöglicht. Sofort ist die Schwere weg, die in Potosí auf uns lastete, beginnt eine Zeit des Müßiggangs und der Entspannung. Das hat auch mit unseren schönen Unterkünften in Sucre zu tun, in denen wir es uns jetzt zunächst gut gehen lassen, während Potosí mit all seinen Sorgen sukzessive aus unserem Bewusstsein schwindet. Im schönen kolonialen Innenhof der Pension lassen wir uns bei einem guten Wein die Sonne auf den Pelz scheinen und schwelgen in der warmen Luft am Pool. Endlich mal wieder ein Buch lesen, Mails checken und die Strahlen der Sonne auf der Haut spüren... Aber wie lange hält man das aus in einer Stadt, die zum Laufen einlädt? Wie lang hat man die Ruhe weg in einer Stadt, die einen unablässig lockt...?
Sucre, auf 2.808 m hoch in wundervoller Berglandschaft gelegen, war einst unter dem Namen "La Plata" ein bedeutender Gerichts-, Finanz- und Verwaltungssitz der spanischen Krone und ist aufgrund ihrer kolonialen Prägung - wie Potosí - als Weltkulturerbe anerkannt. Schon 1624 wurde die noch heute eindrückliche Universidad San Francisco Xavier de Chuquisaca gegründet, die zusammen mit den Silber- und Zink-Millionen der hierher migrierenden Minenbesitzer Potosís einen wesentlichen Einfluss auf die positive Entwicklung der Stadt gehabt hat. Sucre ist die eigentliche konstitutionelle Hauptstadt Boliviens, verlor aber aufgrund ihrer schlechten Anbindung an andere Regionen des Landes schon 1899 ihren Status als Regierungssitz an La Paz. Der Eleganz und mondänen Prägung der Stadt - sie strahlt vor allem im Glanz des 18. Jahrhunderts - tut das allerdings keinen Abbruch...
Das Festival Virgen de la Guadalupe
Wir chillen ein paar Tage und stürzen uns anschließend mitten hinein in das weiße Prachtstück. Gesäumt von zahlreichen historischen Kirchenbauten und reich verzierten Kolonialgebäuden ist es eine wahre Wonne sich durch die einheitlich weiß gehaltenen Straßen und Innenhöfe treiben zu lassen. Wir statten dem lebendigen und üppig ausgestatteten Zentralmarkt Besuche ab und probieren uns durch die vielen unbekannten tropischen Früchte, die aus dem Amazonasgebiet hierher kommen. Wir genießen die schönen und guten Cafés sowie hervorragenden Restaurants der Stadt und bemerken recht schnell, dass sich viel mehr Gäste und Geld hier tummeln, was der Qualität der hiesigen Küche offenbar gut tut. Man kann viele Meter in der Stadt zurücklegen, denn sie ist erstaunlich weit ausgedehnt und schachbrettartig verzweigt: Wir laufen schwer atmend zur schönen Plaza Pedro de Anzúrez und ihrem Kloster, Sehenswürdigkeiten wie Museen den Berg hinauf - sie liegt mit traumhaften Aussichten quasi oberhalb des Zentrums - und durchqueren die gesamte Innenstadt bis hin zum begrünten und baumbestandenen Parque Bolívar, wo wir den Schüler*innen beim Schulsport zusehen. Wir relaxen auf Bänken der zentralen Plaza 25 De Mayo mit ausgesprochen leckerem Speiseeis und bestaunen die Universität wie die Kathedrale der Stadt. Berühmt allerdings ist Sucre vor allem für ihre exzellente Schokolade und die zahlreichen Chocolaterien, deren betörender Duft immer wieder zu vernehmen ist.
Und wir haben Glück: Noch während wir uns hier aufhalten findet das bekannte und landesweit im Fernsehen übertragene Festival Virgen de la Guadalupe statt, das zu Ehren der Patronin der Stadt abgehalten wird. Ein großes Volksfest mitten auf der Plaza 25 De Mayo und eine begeisternde Parade indigener Gruppen aus dem gesamten Umland der Region, die mit außergewöhnlichen Kostümen, volkstümlicher Musik und traditionellen Tänzen aufwarten, lassen uns die Folklore der Bolivianer näher kennen lernen.
Die über mehrere Kilometer in der Stadt sich erstreckende Parade - Höhepunkt des Festivals - zeigt eine bunte Mischung aus indigenen und christlich-katholischen Einflüssen im Volksgut der Region. Nicht selten fühlen wir uns an den Karneval erinnert, den wir aus anderen südamerikanischen Ländern schon kennen. Zahlreiche Bands samt Tuba, Pauke und Trompete ziehen an uns vorüber und die Becken schlagen scheppernd aufeinander... Immer wieder beeindrucken uns die Kostüme der Akteure, die kreativ und einfallsreich ausgestaltet sind und uns völlig unbekannte Figuren des hiesigen Volksglaubens präsentieren. Das ganze Wochenende feiert die Stadt mit exotischen Gerichten der bolivianischen Küche, reichlich Alkohol und lautstarker Musik. Auf einer zentralen Bühne finden Konzerte statt, singen Amateure traditionelle Volkslieder oder covern Profis berühmte
Rockballaden...
Raus in die Natur - Auf dem alten Inkapfad zum Crater Maragua
Uns zieht es derweil hinaus in die atemberaubende Umgebung Sucres: Die Cordillera de los Frailes - einer der Gründe warum wir überhaupt in der Region sind - hält zahlreiche faszinierende Wandertouren bereit. Wir entscheiden uns für ein mehrtägiges Trekking in einer gerade mal 4-köpfigen Gruppe mit dem Ziel Crater Maragua. "Der Krater ist kein Überbleibsel eines Vulkanes, also kein Vulkankrater", wie uns Johnny - unser Guide - noch beinahe mitten in der Nacht und zu Beginn unserer Tour erzählt, "sondern aufgrund von jahrhundertealten Erosionsprozessen entstanden."
Wir fahren zunächst hinaus in die umliegende Cordillera de Los Frailes und nehmen am Rande eines kleinen Amphitheaters von Chataquila auf gut 3.560 m Höhe ein einfaches Frühstück zu uns. Noch ist es kalt und der heiße Kaffee tut gut. Eine kleine Kapelle steht hier oben, die - so berichtet es Johnny - der Jungfrau von Chataquila gewidmet ist. Die Kapelle ist an jenem Ort errichtet, an welchem Tomás Katari, der berühmte lokale Führer einer indigenen Revolte gegen die Spanier, nach seiner Ergreifung einst erschossen wurde. "Damals ein Widerständler, heute ein Held der Bolivianer" führt er aus und man merkt, wie wichtig ihm diese Botschaft an uns ist.
Wir begeben uns aber nun in den Einstieg zu unserem Trek und laufen zunächst abwärts. Es geht auf vielzähligen kleinen und teils steilen Serpentinen, zudem auf grobem Gestein, einen uralten Inkatrail entlang, der noch immer seinen Zweck erfüllt. Immer wieder haben wir fantastische Ausblicke in die Bergwelt vor uns - wir schauen auf unendlich sich schlängelnde Wege im Berg oder auf das sich ebenso windende Flussbett unten im Tal, wohin uns unser Weg jetzt als erstes führt. "Ganz da hinten", so Johnny, "seht ihr auch die Zacken des Maragua-Kraters, in dem wir noch heute Abend unser Quartier aufschlagen werden." Sein ausgestreckter Arm weist weit in die Landschaft hinein. Au weia! Das ist aber ganz schön weit weg, denke ich bei mir und bin mir bewusst, dass es bis dorthin immer rauf und runter geht... Obwohl derzeit bergab - bzw. gerade deswegen -, schmerzen Knie und Schenkel schon nach kurzer Zeit. Das Gewicht des eigenen Körpers mitsamt dem prall gefüllten Rucksack auf dem Rücken ist nicht ganz ohne in diesem steilen Terrain und wir sind schließlich keine Profis. Noch aber ist alles entspannt und die Landschaft einfach bombastisch.
Wir erreichen das schöne Flusstal und laufen kilometerlang an seinem derzeit wenig gefüllten Flussbett entlang. Am Rande eines verlassen wirkenden Dörfchens, unter herrlichen Pappeln, schlagen wir unser nächstes Lager auf und machen unsere erste Rast. Schafe grasen im Hintergrund, der Wind weht seicht und wir haben den Geruch der Herde in der Nase... Während wir nun unser wirklich köstliches Zwischenmahl zu uns nehmen, erzählt uns Johnny vom Leben der Bauern in der Gegend, von der harten Arbeit, diesem weitgehend felsigen und steinigen Land ausreichend Essbares abzuringen... Er spricht voll Hochachtung von den Menschen der Berge und es scheint immer wieder durch, dass er selbst dieses Leben jenem in der Stadt eigentlich vorzieht... Es kommt Bewegung in seine Züge, als er eine Schäferin weit entfernt am Fluss sieht. Er steht auf und spricht die gut 45 Jahre alte, schüchterne Bäuerin an, die mit ihren Schafen an uns vorbei zieht. Es sind nicht viele Worte, die gewechselt werden, dazu scheint sie zu verschämt, aber es wirkt gleichwohl irgendwie vertraut. Und tatsächlich offenbart uns Johnny später, dass er hier in der Gegend aufgewachsen ist und natürlich die Menschen der Gegend sehr gut kennt. Er versorgt die Frau mit Käse und Brot aus unserem Bestand und sie zieht dankbar - offenbar aber auch froh, die Fremden nun endlich verlassen zu können, mit ihrer Herde von dannen... Dass sie sonst während der Schafhut etwas zu Essen gehabt hätte, so Johnny, sei keineswegs sicher. "Die Menschen hier sind sehr sehr arm!"
Für uns beginnt nun der schwerste Part der Tour: Auf einer Hängebrücke überqueren wir zunächst den Fluss, dann geht es aufwärts. Just in dem Moment kommt die Sonne raus und scheint gnadenlos auf uns hernieder... Sie tut es heute zum ersten Mal und macht das Klima jetzt zur Waschküche: Es wird unheimlich schwül-heiß und wie gesagt: Es geht jetzt nur noch bergauf! Zugleich wird die Natur aber immer schöner, denn wir laufen nun mitten hinein in die Bunten Berge, deren Blau- und Rottöne nun weit und breit um uns herum immer wieder fantastische Farben und die tollsten Perspektiven bereit halten. Wir passieren Schluchten und steile Abhänge, begegnen Indigenas mit ihrem Vieh und staunen immer mehr über die wundervolle Landschaft hier. Irgendwann - erreichen wir den Rand des Kraters...
Wir stehen am Rande des Kraters, der riesige Ausmaße hat. Leider kommt er von hier aus aber weniger imposant daher, als wir es auf Bildern vorab zu sehen bekamen... Der Kraterrand ist ziemlich flach und aufgrund seines enormen Umfangs verliert sich die optische Wirkung seiner Rundung. Als nun jeder denkt, wir seien schon am Ziel, laufen wir doch noch gut eine weitere Stunde rauf und runter: Im festen rot-schwarzen Sand des Kraterinneren ist diese Prozedur durch zahlreiche Spalten und kleinere Schluchten sogar ziemlich hart, ehe wir glückselig bei unseren Steinhütten ankommen. Diese sind recht komfortabel und stellen sich als kommunal geführte Unterkünfte der hiesigen Dorfgemeinschaft heraus. Einzelne Kinder aus dem Dorf begrüßen uns und möchten Seife und selbstgebastelten Schmuck verkaufen, doch uns zieht es jetzt nur noch zum Kiosk des Dorfes hin... Nichts ist besser als ein kaltes Bier nach 9 Stunden Trekking... Und dieser Ort entpuppt sich im Licht der nun flacher stehenden Sonne als atemberaubend schön. Solche Momente sind es, für die man das alles macht: Wir saugen die sagenhafte Stimmung ein und sind vorerst glücklich.
Nach einem überraschend schmackhaften Abendessen, das uns Johnny in der mäßig ausgestatteten Küche der Cabana zubereitet, werden wir auch am Abend alle gemeinsam überrascht: Wir erhalten Besuch von einem indigenen Musiklehrer und seinem schüchternen Schüler aus dem Dorf, die uns ein paar wundervolle Kostproben des regionalen bolivianischen Musik- und Kulturguts präsentieren. Was für ein Glück! Neben der Gitarre und ihrer kleinen, eher klimpernden bolivianischen Schwester, der Charango, kommen auch historische Flöten, selbstverständlich auch die Panflöte, sowie die Stimme des Meisters zum Einsatz. Das kleine selbst-initiierte Musikprojekt des Mannes will die traditionelle bolivianische Musik des Hochlands sowie ihre fast schon vergessenen Instrumente bewahren sowie die Kunst ihrer Handhabung an die Jugend der Gegend weitergeben. Seine Leidenschaft und die Identifikation mit der traditionellen Kultur seiner Vorfahren rührt uns. Wir erleben einen wundervollen Abend, der gerade aufgrund seiner eher unprofessionellen und spontanen Art zu einer echten Begegnung wird: Kultur mitten im Krater! Hoffentlich gelingt es dem Projekt den eindringlichen "Klang des Hochlands" nachhaltig zu bewahren.
Am nächsten Morgen regnet es. Wir laufen gleichwohl hoch motiviert - mit Regenjacken überzogen - aus dem Krater wieder heraus. Auch heute geht es durch faszinierende Schluchtenlandschaften und in eindrücklicher Bergwelt durch die Cordillera de los Frailes, die sich als herausragendes Wander- und Trekkingrefugium präsentiert. Schon jetzt ärgern wir uns, dass wir nicht einen noch längeren Trip gebucht haben, dass wir schon heute unser avisiertes Ziel erreichen werden. Aber wir wissen bereits heute, dass wir in diesem Areal erneut wandern werden: Gar nicht weit von hier, nördlich unseres jetzigen Wandergebiets - über Straßen oder Wege aber von hier aus nicht zu erreichen - erstreckt sich der ebenso fantastische ToroToro Nationalpark, dem wir demnächst von Cochabamba aus einen Besuch abstatten wollen...
Für heute aber geht erstmal eine grandiose Trekkingtour zu Ende. Vorerst geht es zurück nach Sucre, wo wir noch ein paar Tage die Annehmlichkeiten der "Weißen Stadt" genießen und unsere Knochen pflegen... Außerdem steht der Besuch eines der wohl eindrücklichsten paläontologischen Grabungsprojekte des Planeten auf der Agenda. Wir jedenfalls haben bis dato noch nichts vergleichbares gesehen: Folgt den Spuren der Dinos und dem Zweiten Teil unserer Reisereportage in gut drei Wochen...
Hier findet Ihr weiterführende Informationen zu Bolivien und der Region des Hochlands zwischen Potosí, Sucre und Cochabamba:
Unsere Blogbeiträge zum zentral-östlichen Hochland Boliviens mit zahlreichen praktischen Reisetipps und weiterführenden Informationen:
Weitere Blogbeiträge zum übrigen Bolivien :
Unsere Reisetipps zu Bolivien:
Unsere sonstigen Reisereportagen zu Bolivien:
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