von Jörg Schwarz
10.09.2017
Tag 0
Es ist 5:30 Uhr morgens. Es ist bitterkalt unter meiner Decke auf dem Liegesitz im Super-Cama-Bus, der während der Nacht offenbar auf die Heizung verzichtet hat. Meine Nase scheint gefroren. Es fröstelt mich rundherum und meine Füße sind zu Eisblöcken erstarrt. Soeben schießt die grelle Realität in Form des flackernden Deckenlichts in meinen sanften Traum. Es riecht übel. Irgendwo brüllt ein Gnadenloser in den Bus: "Ustedes, Uyuni! Vamos". Ich hasse ihn für den Moment und blinzele zum halb beschlagenen Fenster hinaus. Tief schwarze Nacht. Ein vollkommen toter Baum wird schwach vom Licht aus den Fenstern beleuchtet und scheint meine eigene gegenwärtige Situation zu spiegeln. Überall um mich herum rekelt und regt es sich, die ersten Passagiere verlassen bereits den Bus. "Uyuni!" tönt es erneut. Wir sind angekommen, so viel steht fest, eine gut 9-stündige Nachtfahrt von La Paz liegt hinter uns...
Es ist viel zu früh um schon jetzt unser Hostel aufzusuchen, dass ein paar Blocks dort hinten, in völliger Dunkelheit liegen muss. Ohnehin kommen wir kaum einen Meter voran, werden wir doch von einer Traube unheimlich wacher Menschen umgarnt, die Unterkünfte und Touren verkaufen wollen und offenbar nicht verstehen, dass uns kalt ist, dass wir müde sind und dass wir schon eine Unterkunft haben... Und: Dass wir in diesem Zustand ohnehin rein gar kein Geschäft zu machen willig sind... Lasst uns doch in Ruhe! Wir schnappen noch auf, dass dort hinter der nächsten Ecke ein Café sein muss, das schon geöffnet hat und versuchen dem Pulk zu entkommen...
Im Café - kalt und unwirtlich, dafür bereits von anderen früh angekommenen Reisenden gefüllt - hilft erstmal ein heißer Tee, eine kleine gasbetriebene Wärmequelle steht für kurze Zeit vor mir, ehe sie kurz darauf einem anderen Neuankömmling vorgesetzt wird. Ihre Wirkung in dem großen heizungslosen Raum ließ eh zu wünschen übrig. Hinten in der Ecke liegt eine Gruppe in dicken Daunenjacken auf einer Couch und schläft, einige Gäste surfen sofort mit dem Smartphone, wir bestellen zitternd einen weiteren Tee und halten uns an der heißen Tasse fest. Nach und nach kehrt Leben in uns zurück, trotz der Müdigkeit, die uns den ganzen Tag nicht verlassen wird. Als die ersten Sonnenstrahlen in die staubigen Straßen Einkehr halten, machen wir uns auf den Weg. Unser Abenteuer in den Süd-Westen Boliviens - wir wollen von Uyuni und dem hiesigen Salzsee aus mehrere Tage mit dem Allradfahrzeug durch das spektakuläre aber auch unwirtliche, vulkanische und wüstenhafte Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Avaroa (eine Fläche von etwa 7147 km² und durchschnittlich 4000 Meter über dem Meeresspiegel) fahren - hat bereits mit der Anreise begonnen... Wenigstens tut es schon ordentlich weh!
Tag 1
Geimeinsam mit Augustin, unserem Guide und Fahrer sowie einem bolivianischen und einem französich-madegassischen Pärchen starten wir einen Tag später ausgeruht von Uyuni aus unsere Tour, die wir schon in La Paz gebucht haben. Eines wird sofort klar: In unserem allrad-betriebenen Geländefahrzeug ist es recht eng und neben all den Jacken, der Kamera und dem weiteren Handgepäck quetschen wir uns von nun an zu siebt auf wenig Raum für drei Tage zusammen. Wir wollten das Abenteuer, wir bekommen es: Auf Luxus verzichtet man da gerne... Da die Sonne auch heute bereits ununterbrochen scheint, ist es bereits recht warm im Fahrzeug, als wir unsere erste Station, den Eisenbahnfriedhof - noch in Uyuni selbst - ansteuern. Wow! Schon bevor Augustin den Wagen einparkt, sind wir um eine Illusion ärmer: Trotz Wüste, trotz reichlich abgelegener Lage, trotz des Wunsches nach Abenteuer: Allein sein werden wir in der Einöde nicht! Ich zähle 35 (!) Geländefahrzeuge, die etwa alle so gut besetzt sind, wie unseres und erfahre, dass es allein in Uyuni 213 Agenturen gibt, die alle diesen dreitägigen Ausflug mit eigenen, teils mehreren Fahrzeugen anbieten... Und das bestenfalls täglich! "Das hier sind doch recht wenige Fahrzeuge" lächelt Augustin, "wir haben dieser Tage offenbar Glück!"
Wir sehen etwa hundert - aufgrund der trockenen Wüstenluft langsam - verrostende und verrottende Eisenbahnloks und -wagen aus dem vergangenen Jahrhundert, die in zwei parallelen Gleisreihen aneinandergereiht - ihre Räder mittlerweile vom Sand völlig überzogen - am Rande des Ortes stehen. Ein Paradies für Eisenbahnfans... Teils ausgeschlachtet, teils recht gut erhalten stehen sie für den Untergang einer Epoche, die im Jahr 1872 mit dem Bau der Ferrocarril de Antofagasta a Bolivia, der ersten Eisenbahnstrecke Boliviens an die Küste des heutigen Chile, begonnen hatte. Die Bahnstrecke durch die Wüste diente dazu, mineralische Rohstoffe und Salze, aber auch Metalle wie Kupfer, Silber und Gold, aus den bolivianischen Minen im Landesinneren in die Hafenstädte am Pazifischen Ozean zu transportieren. Als zahlreiche Minen in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts versiegten, hatte auch die Bahnstrecke ihre Funktion erfüllt und die Fahrzeuge stehen hier seither. Heute dienen sie als historisches Zeugnis und wohl noch mehr als Fotomotiv für Touristen, wovon wir uns nun selbst überzeugen können...
Jetzt geht es schnurstracks in Richtung Salar de Uyuni weiter. Ein bisschen ist es wie ein Wettrennen der einzelnen Tourenabieter um die besten Plätze, denke ich. Wir fahren erwartungsvoll einer weißen Fläche entgegen, die am Horizont bereits in den Himmel zu strahlen scheint. Jeder im Auto hat ganz sicher dieselben Hochglanzbilder vom Salar im Kopf: Schneeweiße, wabenhafte Flächen, tiefblauer Himmel. Zunächst jedoch sehen wir nur eine von zahllosen Reifenspuren verschmutzte grau-braune Oberfläche. Es gibt dazu nicht eine verschmutzte Spur, sondern viele viele verschmutzte Spuren in alle Richtungen, die sich breitflächig in das Weiß des Salzes fressen. Gerade kommt die erste Enttäuschung auf, als Augustin offenbar die Gedanken der Reisenden ahnend, für Entwarnung sorgt: "Die schöneren und weißeren Stellen befinden sich weiter nördlich des Salars", sagt er grinsend, "wir werden da später noch für Fotos halten!" Na Gott sei Dank, die Erleichterung im Fahrzeug ist deutlich zu spüren. Was jetzt alle ausnahmslos fasziniert: Die Weite dieses Salzsees, die jetzt zunehmend allen offenbar wird, wenn man aus dem Fenster schaut... Sie ist schier beindruckend und kann gar nicht sofort gefasst werden. So weit das Auge reicht und darüber hinaus: Freie, hügellose Fläche - sieht man mal von einzelnen kleinen Inselchen am Horizont oder dem weit zu unserer Rechten zurückstehenden Vulkan Tunupa ab. Sicherlich haben alle 'Weite' erwartet, doch das reale Bild ist noch imposanter als vermutet... Es ist andächtig ruhig im Auto.
Noch bevor wir weiter auf das weiße Ungetüm hinauffahren, ich gebe zu, dass wir eine gewisse Ungeduld verspüren, halten wir an wenig spektakulären blubbernden und perlenden Pfützen im Salz und hören ein paar Fakten zum Salar: Es versteht sich von selbst, dass dies hier der Größte seiner Art ist, 10 Millarden Tonnen Salz auf 12.000 km², von 4 - 5 m bis zu einzelnen Stellen von 90 m dicken Salzplatten. Darunter - wer weiß das nicht: Unschätzbar reiche - weltweit die derzeit größten bekannten - Vorkommen von Lithium, die noch unausgebeutet sind und Bolivien sicher noch reichlich Einnahmen versprechen. Lithium ist obligatorischer Bestandteil für Akkus und Elektrofahrzeuge... Die hier zu sehenden 'Augen des Salars', wie sie Augustin nun bezeichnet, bezeugen unterirdische Wasserläufe und Gase, die sich hin und wieder ihren Weg bahnen. Während Augustin weitere Fakten anführt, sind inzwischen gut 5 Fahrzeuge um uns versammelt, das nächste kündigt sich bereits an. An uns zerrt derweil der Wind, als Augustin zum Aufbruch mahnt. Hatten wir unsere Jacken gerade angezogen, ziehen wir sie nun wieder aus... Ganz schön anstrengend so ein Abenteuertrip...
Inzwischen fahren wir über schneeweiße Salzplatten dahin. Das Gefühl, sich inmitten einer schier unendlichen Fläche zu verlieren, steigt. Nur auf dem Meer macht man ähnliche Erfahrungen, denke ich – allerdings schwankt hier so gar nichts. Egal wohin wir jetzt schauen: Platte Salzoberfläche - ohne Sonnenbrille ist das helle Leuchten der salzigen weißen Krusten kaum zu ertragen. Wir besichtigen das ehemalige Salzhotel – heute geschlossen, aber als Museum und Speisesaal für die zahlreichen Touristen praktisch genutzt – und haben endlich Gelegenheit uns auf dem Salz – jetzt entspricht es dem bekannten schneeweißen Hochglanzbild aus dem Prospekt – auszutoben... Ein frischer Wind weht uns weiter um die Ohren, es ist in der Sonne gleichwohl angenehm warm. Aber was tut man denn hier? Hier ist ja nichts… Natürlich fotografieren wir: Salz aus allen Perspektiven. Jetzt probieren wir die Kristalle auch – es ist tatsächlich Salz! Buähhh. Und irgendwann: Einfach nur noch staunen, staunen ob der Weite und der gleißenden Pracht, die das Besondere des Salar de Uyuni ausmachen. Wir drehen uns im Kreis – stets das gleiche Bild… Wir springen vor Glück und Euphorie und posen was das Zeug hält. Gleichzeitig macht sich das Gefühl von Verlorenheit in der Weite dieses Sees geltend. Die Dimensionen sind atemberaubend. Auch, weil sich die anderen Jeeps in der riesigen Fläche fast vollkommen verlieren, hat man das Gefühl nun doch in abgelegener Natur allein zu sein. Doch, so in etwa hatten wir uns das vorgestellt. Ein erhebendes Erlebnis, das wir so schnell nicht wieder vergessen werden.
Nach dem Besuch der beeindruckenden Isla Pescado, einer über und über mit meterhohen und uralten Kakteen bestandenen Insel auf dem Salar, machen wir uns zu unserem heutigen Nachtlager auf. Wir halten nur nochmal für einen der herrlichsten Sonnenuntergänge unseres Lebens, der sich am klaren wolkenlosen Horizont sowie auf den vor uns liegenden Bergen intensivst abzeichnet.
Inzwischen ist die Gruppe im Auto bekannter geworden, entspannter was die Mitreisenden angeht, aber voller Sorge, wie sich die zwei als "eiskalt und wenig angenehm" angekündigten Nächte wohl gestalten werden... Abenteuergeist hat seine Grenzen offenbar bei den eigenen Annehmlichkeiten, denke ich, und feiere mich selbst für den Kauf unserer hervorragenden Schlafsäcke, die uns einmalmehr eine warme und angenehme Nacht bescheren werden… Genau dafür trage ich sie auch gerne durch die Gegend und setze mich den verachtenden Blicken der Minimalisten aus, die zwar kleine Rucksäcke tragen, dafür aber nachts frieren… Das Abendessen jedenfalls gestaltet sich entsprechend lustig und informativ, weil die unterschiedlichen nationalen Perspektiven auf Bolivien natürlich spannend sind. Unsere Nacht im vollständig aus Salzblöcken gebauten Hostel war dann erwartet unproblematisch und hatte von Abenteuer für uns so gar nichts... Dafür war es einfach zu nett.
Tag 2
Am nächsten Morgen - Gott sei Dank erst um 6:30 Uhr Frühstück - geht es in ordentlicher Morgenkälte auf Rippenpisten und schlechten Wegen quer durch das unwirtliche Gelände. Die Sonne strahlt vom Himmel, selbiger ist jetzt hellblau. Wir fahren in ruckeligen Schlangenlinien durch riesige ausgedehnte Lavafelder, um große Brocken herum, die der nun ruhige Vulkan über weite Entfernung hierher geschleudert hat, passieren große ausgetrocknete Seen, die heute fahle Sandwüsten darstellen und halten u.a. an den Gleisen der oben schon erwähnten Bahnstrecke nach Chile, die heute nur noch historische Fußnote ist. Während all der Strecke ziehen im Hintergrund wundervolle, meist kahle, aber beeindruckende ehemalige Vulkane an uns vorbei. Das Land ist spärlich von Flechten und Sträuchern bewachsen und bewegt sich kontinuierlich an unseren Augen vorbei - ich höre dazu Stings "Mad about you" - und bin selig...
Irgendwann kommen wir zu den angekündigten Lagunen, die in traumhafter Kulisse, malerisch schön, voller Flamingos und inmitten dieser Wüstenflora liegen. Was für ein Bild, das sich uns hier wiederholt bietet - alle Beteiligten sind fasziniert vom Logotier der Spuren | WECHSLER und die Kameras stehen nicht still. Sie sind aber auch wirklich eindrucksvoll diese in schönen, intensiven Farben leuchtende Vögel, wie sie dort im flachen See herumstolzieren, sich in kleinen Gruppen treffen und ... permanent Krill aus dem Wasser fischen. Wir sehen deutlich farbigere Tiere als seinerzeit in Chile. "Versteht sich!", meint Augustin scherzend auf den anhaltenden Konflikt zwischen Bolivien und Chile anspielend...
Wegen dieser herausragenden Naturlandschaften, diesen atemberaubenden Erlebnissen sind wir hier. Auch diese Wüste lebt, sie zeigt fantastische Farben und läßt den Besucher beeindruckt mit sich allein zurück. Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich mit breitem Grinsen auf dem Gesicht einfach nur dastehe und in die Weite der Lagunen blicke. Würde nicht Augustin stets auf unseren Zeitplan achten, ich würde an jeder einzelnen Station einen ganzen Tag verbringen können... Nur Augustin weiß, dass jede weitere Station nicht weniger schön sein wird... So zum Beispiel die bizarren Felsen, die wir jetzt ansteuern und die im "Rock Tree" den wohl bekanntesten Felsen der Tour - ein Foto hier ist für Touristen offenbar obligatorisch - stellen. Das gesamte Areal ist ein Paradies für Felsenakrobaten und läd zum Klettern geradezu ein.
Der Tag ist lang, das Sitzen im Auto, trotz der wundervollen Unterbrechungen, strengt an. Mein Hinterteil ist für jede Unterbrechung, für jeden Stop dankbar. Wir passieren eine Hochebene von wo aus in alle Richtungen atemberaubende Bergwelt und farbenreiche Vulkankrater zu sehen sind. Kein Foto der Welt könnte das visuelle Erlebnis auf einem Bild fixieren... Schon längst befahren wir keine Wege mehr, es geht einfach querfeldein und ungesteuert über die sandigen Flächen - was Umweltschützer sicher wahnsinnig machen dürfte. Jedes Fahrzeug das wir jetzt in der Nähe oder weit entfernt zu uns sehen, bahnt sich in hoher Geschwindigkeit seinen Weg und zieht einen Schweif an Staub hinter sich her. Wir werden doch hoffentlich halten, denke ich und mache vorsorglich ein paar Bilder aus dem Fenster. Selbstverständlich aber hält Augustin ein paar Minuten später.
Vorbei an Tälern und Hochebenen mit unwahrscheinlich vielfarbigen ehemals aktiven Vulkankratern oder besonders bizarren Felsformationen, die wie hingeworfen in eigentlich flacher sandiger Umgebung liegen, geht es weiter... Ihre Namen verschwinden in Sekundenschnelle aus meiner Erinnerung.
Als sich der Tag dem Ende zuneigt - wir alle sind bereits restlos begeistert und befriedigt - kündigt Augustin den Höhepunkt des Tages an... Die Laguna Colorada. Es ist genau die Zeit, die es braucht, um durch den entsprechenden Sonneneinfall die entsprechende Farbe in der Lagune zu erzeugen. Wären wir hier Vormittags gekommen, sie wäre eine von Vielen geblieben. Doch nun: Ein Feuerwerk aus Rot, Orange und allem, was dazwischen ist... Ein Naturschauspiel der ganz besonderen Art. Das Wasser dieser Lagune kontrastiert als rot gefärbte Flüssigkeit mit dem Weiß der Borax-Felder auf ihm - Borax, ein Mineral, das in der Natur nur selten vorkommt, wird von Bolivien als Rohstoff abgebaut. Dazu gesellt sich das tiefe Blau des Himmels und das goldene Gelb der umliegenden Gräser. Auch auf der Laguna Colorada, die uns sprachlos macht, so schön ist ihr Anblick, staken unzählige Flamingos im Wasser, die hier aber angesichts der Farbexplosionen nur die Nebenrolle spielen. Magda und ich schauen uns an: Doch, das ist mal ein 'Wow!' wert...
Es ist inzwischen ziemlich kühl geworden, der Wind hat an Stärke zugenommen. Um das Spektakel angemessen auszukosten sind Mützen und dicke Jacken jetzt zwingend geworden. Wir sitzen auf goldenen Büscheln des hiesigen Grases und beobachten die Szenerie. Zwischen Magda und mir wird nicht gesprochen, wir schauen beide einfach in das Panorama und sind mit unseren Gedanken befasst. Was ich denke? Keine Ahnung... Der Ort braucht eigentlich keine Worte. Es sind die andächtigen und stillen, die wortlosen Momente, die diesen Trip zur Ausnahmetour machen. Alle Strapazen des Tages haben in diesen Minuten einen Sinn. Gern möchten wir hier bis zur Nacht sitzen, doch unsere etwas schwächelnde Gruppe zieht es ins nächste Quartier. Augustin mahnt zur Weiterfahrt... Verdammt!
Die zweite Nacht galt als Makel, als Nervenkitzel der Tour: 6-Bett-Zimmer, keine Heizung, keine Duschen. WC auf dem Flur und primitivste Verhältnisse. Es herrschte Angst vor enormer Kälte in der Nacht... Wenn das kein Abenteuer ist! Und in der Tat: Es ist eiskalt in der Nacht! Und in der Tat: Unsere Unterkunft ist extrem einfach und unwirtlich. Erneut jedoch kann die Kälte uns nicht schrecken, unsere Schlafsäcke halten durch! Qualität zahlt sich aus. Andere hatten weniger Glück, für sie war die Nacht ein echter Einschnitt... Für uns zeigt sich in der klaren Nacht der Sternenhimmel von seiner schönsten Seite und lässt uns sehr zufrieden sein... Zudem erfahren wir, das just hinter den über dem Dorf liegenden Bergen - auf der chilenischen Seite - El Tatio liegt. In uns flammen wundervolle Erinnerungen an einen bitterkalten Sonnenaufgang auf der Welt drittgrößtem Geysirfeld auf. Vor drei Jahren also standen wir dort auf der anderen Seite - ein Kreis schließt sich...
Am Vorabend der Eisesnacht wird es in der Gruppe immer vertrauter. Nach wärmender Suppe, Wein und reichlich Bier ist der Abend richtig schön und schläft es sich gleich um so besser. Abenteuer? Vielleicht war das Schnarchen unseres bolivianischen Kollegen noch das abenteuerlichste an der Nacht...
Tag 3
Wecken am nächsten Morgen: 4:00 Uhr! Warum tun wir uns das an? Tatsächlich quälen wir uns in der Frostnacht aus unserem warmen Schlafsack, frühstücken etwas benommen bei gefühlten 5 Grad Celsius und sitzen bereits um 4:45 Uhr wieder erwartungsvoll in unserer engen Geländekarre. Heute - vielleicht anders als an allen anderen Tagen - freuen wir uns über jeden Körperkontakt, denn das noch ausgekühlte Auto ist ein Eisblock, so dass die Nähe zu den Nachbarn gern genommen wird...
In dunkler Nacht fahren wir mit anderen Geländewagen, die nun ebenfalls aus ihren Nachtlagern kommen - es mutet wie ein Convoi an - auf Höhen über 5.000 m auf schlechten Wegen Richtung Sol de Mañana - dem bolivianischen Geothermalfeld auf 4.850 m Höhe. Wir wollen dort einen Sonnenaufgang erleben. Man hat uns versichert, dass sich El Tatio in Chile und Sol de Mañana voneinander unterscheiden und die bolivianische Seite dabei nicht schlechter abschneidet, auch wenn das Feld insgesamt kleiner ist... "Was kann in Chile besser sein als bei uns!" sagt Augustin erneut schmunzelnd und ironisch und zeigt sich als bolivianischer Scherzkeks...
Vorbei an schneebedeckten Bergen, die im Scheinwerferlicht der Autos und der sich bereits ankündigenden Sonne immer klarer sichtbar werden, rumpeln wir über gefrorene Pfützen und schlechte Wege. Als wir ankommen - wir sind nicht die ersten - steht der Sonnenaufgang unmittelbar bevor. Fast hätte man früher hier sein können... Wir machen ein paar Fotos, sind schon jetzt recht begeistert von den in den Himmel schießenden Dampffontänen. Wir bewegen uns auf das gashaltige, ziemlich stinkende, verschachtelt in den Boden versunkene und blubbernde Hauptfeld zu, als die Sonne sich ein erstes Mal zeigt. Eine Explosion von Licht, die augenblicklich alles angestrahlte in eine völlig neue Form versetzt. Ein Festival des Leuchtens und Strahlens, das in unserer Erfahrung seinesgleichen sucht... Freilich nur, wenn man da steht, wo wir stehen - Erfahrung zahlt sich aus... Aber seht selbst, dafür braucht man keine Worte:
Alles was jetzt noch kommt ist reines Zubrot. Wir sind derart euphorisiert, dass uns eigentlich egal ist, welche Highlights heute noch auf uns warten... Aber das ist ein Fehler, denn es geht gerade so weiter, wie der Tag begonnen hat. Diese Reise von drei Tagen ist wie eine monatelange Reise anderswo. Wie an der Perlenkette reihen sich die Höhepunkte. Und in der Tat, hier fragt man sich: Wie soll das verarbeitet werden? Wir sind ratlos und gleichwohl weiter fasziniert. Wir nehmen das erstmal alles mit...
Als nächstes bietet sich uns die Gelegenheit die Kälte aus den Knochen zu bekommen: Wir halten in fantastischer Morgensonne - wir lieben daran vor allem den sanften goldenen Glanz und die langen
Schatten auf der Puna-Landschaft - an den Termas de Polques, die 35 Grad Celsius warmes Wasser für uns bereit halten. Zwei Becken dampfen im hellen Licht der Sonne und werben
für ein Bad, doch wir können uns in der Kälte gerade einfach nicht vorstellen und auszuziehen... Wir nutzen die Zeit und wandern entlang des schönen Sees und genießen einfach die klare Luft hier
oben, bevor unsere Reise uns weiter in das surreal wirkende Desierto de Salvador Dalí führt - eine Wüstenlandschaft, umrahmt von farbenprächtigen Vulkanen mit bizarrsten
Steingebilden.
Leider entscheidet sich unsere Gruppe anschließend mehrheitlich dafür, den Besuch der Laguna Verde am Vulkan Licáncabur - unsere eigentlich südlichste Station im letzten Zipfel Boliviens - nicht anzusteuern. Wir sind fassungslos. Natürlich ist uns klar, dass die Laguna zu der frühen Tageszeit nicht grün strahlt - wie ihr Name bedeutet - sondern eher milchig-weiß daherkommen wird, aber das hielte uns doch nicht davon ab... Zumal die Lagune zu Füßen des formvollendetsten Vulkans der Welt - dem Licáncabur - liegt und gleichwohl ihren Reiz haben wird... Aber was macht man schon, wenn man merkt, dass die anderen 'Abenteurer' sichtlich müde geworden sind von der Reise, der vorhergehenden kalten Nacht und all den Highlights... Wir fügen uns entsetzt und setzen durch, dass wir wenigstens so weit hochfahren, dass wir den Vulkan mindestens sehen und bestaunen können - vor drei Jahren standen wir auf der anderen, der chilenischen Seite in der ebenfalls großartigen Atacamawüste...
Mit etwas Wehmut treten wir also die Rückreise an. Sie ist keineswegs langweilig, wie man meinen könnte, denn es geht munter weiter an der Perlenkette entlang. Nach einem guten Mittagessen in einem kleinen Örtchen in der Pampa, fahren wir auf einen Schlag 2.000 m die Hochebene hinab, entlang eines grünen Flusstals, das sich hier ebenfalls herunterschlängelt. Von Jetzt auf Gleich ändert sich die Landschaft erneut, wir sehen zahlreiche Lama- und Alpakaherden in grünen Flussoasen grasen und besuchen unser letztes offizielles Ziel: Die Laguna Negra, die sich in einem über viele viele Kilometer hinziehenden bizarren Gebirge - was für Potenziale sich da wohl noch auftun? - befindet. In traumhafter Lage klettern wir auf Felsen und in Cañons herum, bis wir oberhalb der Lagune in einen dunklen See blicken. Enten, Viscachas und andere andine Tiere bewohnen den See und die felsige Umgebung und zeigen sich uns immer wieder. Ein würdiger Abschluss einer grandiosen Tour...
Was bleibt am Ende vom Abenteuer übrig? Diese Fahrt durch abgelegene und unwirtliche Landschaften ist mehr als großartig und sucht wohl ihresgleichen. Auf so engem Raum und in so überschaubarer Zeit bekommt man derart viel geboten... Ein echtes Abenteuer aber ist sie nicht. Dafür ist das Ganze schon zu organisiert und - selbst in einfachsten Unterkünften und Eiseskälte - deutlich zu annehmlich. In Uyuni erfahren wir, dass mittlerweile jedes Jahr 60.000 Menschen diese Reise machen, der Park ist das meistbesuchte Areal Boliviens und schon sind - zurecht - die Umweltschützer auf dem Plan.
Und dennoch: Wer in Bolivien diese Reise nicht macht, der ist selber schuld. Dem ist nicht zu helfen. So froh wir heute sind, in Sucre, also in deutlich wärmen Gefilden in Bolivien zu sein, so froh sind wir, dass wir die Anstrengungen auf uns genommen haben, zu der die weite Anreise und die beschwerlichen Umstände der Tour sicher zählen. Aber Beschwerlichkeiten und Anstrengungen sind eben kein Abenteuer... Und das gilt, obgleich für Spuren | WECHSLER die Latte für Abenteuer echt tief hängt...
nbodry@pt.lu (Sunday, 26 April 2020 10:20) - #1
Ich kann diese Tour nur empfehlen, vor allen die Laguna Negra ist ein absoluter Höhepunkt, neben vielen anderen auf dieser Tour (Tage) auch hatte ich das Glücksgefühl n den Thermen der Reserva de Fauna morgens um 07:45 ein sehr angenehmes Bad zu nehmen.
Meine Reise begann allerdings etwas anders. Abfahrt Busbahnhof Cochabamba bis Potosi (5 st.) weiterfahrt mit einem sehr bequemen 2 Wagen Zug mit warmer Verpflegungsmöglichkeit (8 st.) Ankunft Uyuni 20:30 schnell etwas essen und daan schlafen.
Über die Tour möchte ich hier nichts schreiben die ist bestens beschrieben, sodass mann sich an dieses halten kann.
Meine Rückreise ging von Uyuni nach La Paz weiter bis Cochabamba mit dem Flugzeug ( 3 st. )
Nico
Spurenwechsler (Sunday, 26 April 2020 11:54) - #2
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