Zentral-Chile
von Jörg Schwarz
Der Schweiß läuft uns am Körper hinunter, wir machen einen Schritt nach dem anderen - vom Himmel herunter strahlt und verhöhnt uns die Sonne. Wir laufen durch hügeliges, pulvertrockenes halbwüstenartiges Terrain mit spärlichem Bewuchs - jetzt gerade mal wieder bergauf... Die einzigen Geräusche die wir vernehmen stammen von unserem eigenen Schuhwerk und Stöhnen sowie den Geräuschen der Zikaden, die hier ununterbrochen zirpen und - ja wie soll man es beschreiben? - schreien. Sie kreischen uns permanent an, als würden Sie uns erschrecken wollen...! Außer uns ist kein Mensch weit und breit.
Wir wandern seit zwei Stunden im Parque Nacional El Leoncito, gut 35 km südlich von dem Örtchen Barreal gelegen, einem spektakulären Abschnitt im Calingasta-Tal. Unser Ziel ist der schwarzfelsige Cerro El Leoncito (2.519 m), der von ständig wechselnder, farbiger Hügellandschaft umgeben und dessen Gipfel bereits seit einiger Zeit zu unserer Linken zu sehen ist. Gerade erreichen wir eine Anhöhe von der aus sich uns der Blick in das Tal zur Rechten ein erstes Mal auf dieser Trekkingtour vollständig öffnet: Atemberaubend erhebt sich auf der gegenüberliegenden Seite des Tals der schneebedeckte Cerro Mercedario, mit etwas mehr als 6.700 m einer der höchsten Berge Argentiniens. Zu seinen Füßen liegt im Tal die Pampa El Leoncito - von hier aus als ein weißer Streifen Sand erscheinend, ist sie tatsächlich ein imposanter ausgetrockneter See, auf dem heute Windsegler ihrem Sport nachgehen. Egal wohin wir jetzt schauen: Die Aussicht ist fantastisch! Während uns der Wind angenehm über das verschwitzte Gesicht weht, blicken wir freudestrahlend und glücklich in die Weite...
Aber erzählen wir der Reihe nach:
Unsere Reiseetappe beginnt deutlich nördlicher, in Chilecito. Es ist unsere Absicht ein ganzes Stück weiter auf der Ruta 40 bis nach San Juan zu fahren. Erneut passieren wir die atemberaubende Cuesta de Miranda, lassen Villa Union rechts liegen und fahren auf der altehrwürdigen, in diesem Abschnitt nicht sonderlich interessanten Straße zunächst bis San José de Jáchal, einem Örtchen das an dem gleichnahmigen spektakulären Flusstal des Rio Jáchal liegt. San José ist ein gemütlich-verschlafenes kleines Städtchen, in dem wir gern eine Nacht verbringen, ein gutes Lomo-Steak (zartes, flaches Filetstück vom Rind) verspeisen und mit einigen Einheimischen beim großartigen Malbec (der hiesige Weintyp) ins Gespräch kommen.
"Fahrt nicht über die Ruta 40 nach San Juan, sondern nehmt die Ruta Nacional 150 !" rät uns ein älterer Herr, mit dem wir eine Weile plaudern. "Zum einen ist der Abschnitt Richtung San Juan langweilig, zum anderen weiß man nicht, ob die in der Region befindliche Dakar-Rallye nicht den Verkehr behindert." Unsere überraschte Reaktion zeigt ihm, dass wir davon keine Ahnung hatten: "Das wißt ihr nicht? Die Rallye zieht hier gerade durch die Lande, gerade morgen sind sie in San Juan, da wird ordentlich was los sein!" Man merkt ihm den Stolz an, als er erzählt, dass die ganze Region in Aufruhr ist, schließlich fahren hier die Besten, sei das eine der spektakulärsten Motorsportveranstaltungen überhaupt. "Die Welt schaut auf uns! Ein Argentinier hat gute Chancen!" Tatsächlich fallen uns nun zunehmend Plakate mit der Ankündigung der Rallye auf, die doch eigentlich zwischen Paris und Dakar und nicht in Südamerika stattfinden sollte. Um Gottes Willen denken wir - bloß nicht in diesen Trubel geraten... Motorsport ist zudem nicht so unsere Sache und wir sind ja auch eher wegen der Ruhe und Einsamkeit hier...
Wir erfahren weiter, dass die Ruta National 150 durch fantastische Landschaft führt, "vorbei am Dique Cuesta del Viento, einem berühmten Stausee, auf dem sich die Weltelite der Kite- und Windsurfer tummelt. Ihr könntet zum Paso de agua nera, dem höchsten Andenpass nach Chile fahren", sagt er mit weit ausholenden Armbewegungen. "Auf der anderen Seite seid ihr schnell in Vicuna, der Partnerstadt von San José ! Oder eben weiter Richtung Süden", sein Arm schnellt in die andere Richtung, "die Straße ist viel interessanter in diesem Streckenabschnitt als die 40!" Er gestikuliert abfällig mit der Hand. Unser Gesprächspartner hätte auch Dirigent werden können... Gleichwohl ist das genau die Art von Infomation, die wir uns gewünscht hatten! Plaudernd leeren wir unseren fantastischen Wein, bedanken uns für das nette Gespräch und schlendern in der sternenklaren Nacht zu unserem Hotel.
Gesagt getan, wir folgen dem Rat und machen uns - auf der Ruta National 150 - zunächst auf den Weg Richtung Rodeo... Schon kurz außerhalb von San José wissen wir, dass diese Entscheidung goldrichtig war. Wir blicken von unserer kurvenreichen Straße von oben hinab in ein unfassbar schönes Flusstal und folgen ein paar Kilometer weiter einer Empfehlung, die man "auf keinen Fall verpassen dürfe": Wir fahren zur Garganta del Diabolo. Durch zerklüftete Sandsteinformationen hindurch - zur Regenzeit scheinen die aus den umliegenden Bergen herabfließenden Wasserströme riesige Furchen und Canyons in die Böden zu reißen - laufen wir zu einem Areal enger Schluchten, in dem am heutigen Tag allerdings ein ruhiges und unspektakuläres Flüsschen sein Bett entlangfließt. Den hohen ausgewaschenen und geschliffenen Wänden der Garganta-Schlucht sieht man die Urgewalt des Wassers allerdings deutlich an, das sich tief eingegraben hat. Hier lässt es sich jetzt wunderbar klettern. Wir laufen die Canyons zunächst von oben ab und klettern anschließend hinein in ihren Schlund, verbringen ein wenig Zeit auf den warmen Uferfelsen dieser wunderschönen Flussenge und genießen die Sonne wie das sprudelnde Wasser.
Entlang der herrlichen Berglandschaft, stets mit herausragenden Ausblicken auf den unter uns gelegenen Fluss fahren wir entspannt am Stausee Dique Cuesta del Viento vorbei - leider ist es hier oben aufgrund der Winde heute zu kalt zum Baden -, besuchen das unspektakuläre Städtchen Rodeo und entscheiden uns, nicht über den spektakulären und 4.780 m hohen Paso del agua negro nach Chile zu fahren - das heben wir uns für eine andere Gelegenheit auf... Uns zieht es jetzt in die südlicheren Gefilde, wurde uns doch vom Valle de Calingasta nur Gutes berichtet. Weiterhin besticht die Strecke mit aussergewöhnlich schöner Landschaft, erblicken wir zahlreiche - offenbar - wilde Pferdeherden am Fluss, laden unzählige Stellen zum Halten und Staunen ein. Je näher wir dem Calingasta-Tal kommen, desto spektakulärer wird das Gebirge, tun sich vor uns ungeahnt bunte Steinformationen auf. Am eindrücklichsten aber ist der Blick in das Calingasta Valley selbst, als wir es das erste Mal erblicken: Es öffnet sich zwischen der teils schneebedeckten Cordillera de Ansilta auf der anderen Seite und der Sierra del Tontal, aus der wir jetzt herausfahren eine wunderschöne und weite Tal-Ebene, die zu beiden Bergketten hin flach ansteigt. Im tiefsten Punkt fließt ein Fluss, diesseits wie jenseits seiner Ufer erblühen grüne Oasen. Fantastisch! Das Gefühl der großen Freiheit kommt hier unwillkürlich auf...
Wir entscheiden uns für das kleine, weitgezogene Örtchen Barreal als unserem erstem Zwischenstopp und steuern die Anlage des ehemaligen Hamburgers Bernd - Bernie - "El Alemán" (Der Deutsche) an. Die Unterkunft ist nah am Fluss gelegen, hat einige schöne Cabanas und - wie wir dann erfahren - einen hervorragenden Weinkeller... Und eben Bernd, der sich sichtlich über den Besuch aus Deutschland freut. Er selbst ist seit vielen Jahren hier, lebt mit einer Argentinierin und der gemeinsamen Tochter an diesem schönen Fleck Erde: "Mich kriegt hier auch keiner mehr weg, schon gar nicht zurück nach Deutschland!" erzählt er uns, der als Seefahrer mehrmals in Argentinien war und irgendwann einfach hiergeblieben ist. "Schau dich um, ich habe doch alles hier, was ich mir wünschen kann!" Widerspruch fällt tatsächlich schwer... Als er bei hervorragendem Malbec auch noch ein perfektes Steak serviert und über seinen Weg hierher wie das Lebensgefühl in Barreal erzählt, entscheiden wir uns ein wenig zu verweilen.
Wir bleiben einige Tage, verbringen gemeinsam mit ein paar anderen Gästen aus Deutschland und der Schweiz ein gemütliches Sylester-Abendessen unter freiem Himmel und machen von hier aus Ausflüge und Touren in die Umgebung oder erkunden das reizvoll mit Weiden, Pappeln und Eukalyptusbäumen bestandene Oasen-Dörfchen, das unspektakulär aber ausgesprochen erholsam daher kommt.
Die Region hat viel zu bieten: Wir fahren mehrmals in den 35 km ausserhalb gelegenen Nationalpark El Leoncito, wandern dort mehrmals durch bereits beschriebene Hügel-Landschaften, besuchen das aus Deutschland mitfinanzierte lokale Planetarium und erkunden das mit einigen interessanten Wasserfällen bestückte Areal. Mehrmals stehen wir staunend auf dem Grund des ausgetrockneten Sees, der Pampa El Leoncito, und schauen in die umliegenden Anden oder den pfeilschnellen Landseglern bei ihren spektakulären Turns zu, wenn am Abend der Wind so richtig aufkommt. Darüber hinaus bietet der orange-braune Rio de los Patos Gelegenheit zur Abkühlung, entweder einfach an seinen Ufern oder während einer Rafting-Spritztour etwas außerhalb in den Bergen bei Hornillas. Wer vom Klettern, Trekken oder Wandern nicht genug bekommt, der hat zu beiden Seiten des Städtchens alles was das Herz begehrt... Wir sind schon von der orange-rot leuchtenden Vorkordillere begeistert, in die man direkt am Rande des Dorfes einfach reinläuft, um sich seinen Weg entlang eines trockenen Flusslaufs in die in mehreren Rot- und Brauntönen leuchtende Sierra del Tontal zu suchen. Egal wo man läuft: Jeder Blick zurück auf das Calingasta-Tal ist atemberaubend.
Das Szenario in Barreal begeistert uns so sehr, dass wir deutlich länger verweilen, als zunächst geplant. Als wir während unserer Dorf- und Restauranterkundung eines Abends in der Posada San Eduardo absteigen und diese nah an den roten Bergen gelegene wunderschöne Hacienda kennenlernen, beschließen wir spontan noch einige Nächte hier zu verweilen, noch ein paar Touren in den roten Bergen zu unternehmen... Auf dem grün-saftigen Gartengrundstück mit Pool und Squash-Platz und in dem mit einem schattenspendenden Patio ausgestatteten, einfachen Landhaus, fühlen wir uns pudelwohl - auch weil das Restaurant eine schöne Abwechlung vom üblichen argentinischen Einerlei zu bieten hat... Wer sich in dieser - nach unserer Vorstellung durch und durch argentinischen Unterkunft nicht wohl fühlt, ist selbst schuld! Überzeugt hat uns hier - neben allen schon genannten Vorzügen der Region - vor allem die angenehm dezente und freundliche Art des Hausherrn und seines Personals: Wir lernen Ricardo Zunino, dessen Elternhaus das hier ist, als sympathischen Posadabesitzer kennen. In den 70er/80er Jahren aber war sein Leben deutlich bewegter, fuhr er für Brabham und Tyrell in der Formel 1 und war in der Region anschließend politisch tätig. Wie uns Bernie - El Alemán - verriet, hat er die Region als Tourismusverantwortlicher vertreten. Ein perfekter Gastgeber - so viel steht fest!
Wir genießen jeden Tag, schwimmen viel, relaxen in der Sonne und lassen uns kulinarisch verwöhnen. Nach wundervollen geruhsamen Tagen holt uns dann allerdings leider "das Spektakel" doch noch ein. Die Rallye Paris-Dakar ist auf dem Rückweg und soll hier direkt vor unserer Posada vorbei kommen... Kann das wahr sein? Eine Vorhut - offenbar Organisatoren der Tour - schlagen in der Posada ihr Lager auf und die Ruhe ist erstmal weg: Lärmende Geländewagen, Walki-Talkies, Mobile Rechner und mehr... Mit dem motosportbegeisterten Hausherrn können wir natürlich jetzt nicht rechnen, wahrscheinlich ist er der Grund dafür, dass die hier durch die Idylle rasen... Sei's drum - ist eben endlich mal was los in diesem durch und durch stillen Ort, in dem allein die Esel und die Hunde zu vernehmen sind - neben den Motoren...
Es ist Zeit für uns weiterzuziehen!
Abschließend können wir Euch nur empfehlen: Hinfahren ins Valle de Calingasta und genießen!
Adios!
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