Polen II
Milchbars und Hafenkneipen
Die polnischen Interrail-Etappen: Kunst, Kultur und Leckereien in alten Städten
von Magdalena Bosak und Jörg Schwarz
Erschienen am 28.08.2004 im Reise Journal - dem Reisemagazin der WAZ-Mediengruppe
Der Westen
Wie immer vergeht die Zeit auf Reisen besonders schnell. Vor ein paar Tagen haben wir uns noch auf die Zeit, die vor uns lag gefreut, und nun ist die erste Woche schon wieder vorbei. Schauen wir also mal zurück.
Wie immer bei Besuchen in Magdalenas Heimatstadt Bydgoszcz (Bromberg) wurden wir überschwänglich von Freunden und Familie empfangen. Als unsere Gastgeber davon hörten, dass wir eine Reisereportage schreiben, konnten wir uns vor Unterstützung kaum retten: Irgendwer kannte irgendwo irgendwen. Fortan hatten wir in jeder Stadt einen persönlichen Guide oder eine eigens empfohlene, persönlich getestete Unterkunft. Heute kennen wir die besten Restaurants, die touristischen "hot spots" und alles das, was der normale Tourist kaum je zu Gesicht bekommt. Am Ende dieser Woche sind wir jedenfalls ganz schön erschöpft. Und das vor allem, weil es wahnsinnig heiß war während der vergangenen Tage. Und wir sind schließlich von morgend bis abends (schweißgebadet) unterwegs gewesen.
Jetzt gerade sitzen wir früh morgens im sonnendurchfluteten Innenhof unseres kleinen Hotels in Kraków (Krakau), geniessen den Schatten und entspannen
etwas. Was für ein herrlicher Ort. Das Schreiben gibt zudem Gelegenheit, die Gedanken etwas zu sammeln. Was für eine schöne Woche liegt hinter uns!
Zunächst hatten wir uns Bydgoszcz (Bromberg) gewidmet. Die freundliche Stadt ist heute noch nicht das, was man eine touristische Perle nennt, hat aber riesiges Potential. Es gibt in der Altstadt wunderschöne Straßenzüge, freundliche Plätze und etliche entwicklungsfähige Areale rund um den Fluß Brda (Brahe), der mitten durch die Stadt fließt. Bydgoszcz ist weder Kraków (Krakau) noch Gdansk (Danzig) hat aber jede Menge nette Ecken und Menschen, die für uns Freunde sind. Da wir schon häufig in der Stadt unterwegs waren und Magda fast alles hier kennt, zog es uns schnell weiter...
Mit dem Zug ging es in knapp zwei Stunden nach Gdansk (Danzig). Diese Stadt ist deutlich imposanter und beeindruckend, sie
liegt direkt am Meer und ihre Geschichte flößt Respekt ein. Wenn man sich die wunderschöne Innenstadt mit ihren sagenhaften Häuserfronten und ihrem Hafen anschaut, dann kann man nicht glauben,
dass hier am Ende des Krieges alles in Schutt und Asche lag. Heute stellt sich die Stadt - nahezu 1:1 wieder historisch aufgebaut - lebendig und unversehrt dar. Besonders schön ist der alte
Hafen, in dem man für wenig Geld ausgezeichnet Fisch essen kann. In unzähligen Seitenstrassen warten nette Cafés und Lokale auf Gäste und bieten die typischen polnischen Spezialitäten und
Leckereien dar: Piroggen, Pfannkuchen oder der unverwüstliche Bigos. Eigentlich muss man hier deutlich länger verweilen, als wir es selber diesmal tun können.
Einen Tag später besuchten wir bereits eine alte Bekannte und eine unserer Favoritinnen unter den polnischen Städten: Die Kopernikusstadt Torun (Thorn). Zwar wirbt fast jede ponische Stadt mit einer Skulptur oder einem Straßennamen mit dem weltberühmten Astronomen, in Torun allerdings war er tatsächlich zu Hause. Das verschlafene kleine Städtchen - gemütliche Uni-Stadt mit historischem Altstadtkern, Planetarium und Kreuzritter-Burg-Ruinen - ist eine kleine Schatztruhe aus roten Backsteinhäusern und -mauern und versetzt den Besucher noch heute in die Zeit des Kopernikus. Romantisch polnisch - um ein bekanntes Klischee zu bedienen.
Wir streiften durch die Stadt und fanden darüber hinaus zahlreiche Relikte aus der sozialistisch-kommunistischen Phase der Stadt: So gibt es noch immer die typischen "Milchbars", schnörkellose Kantinen für die sozialistische Arbeiterschaft der Stadt, in welchen keineswegs nur Milch angeboten wurde. Das Essen hier ist unfassbar günstig, meistens wirklich gut und die Atmosphäre schon sehr speziell - noch eine Art Zeitreise. Ohne unsere Freundin Agnieszka hätten wir die "Bar Mleczny" sicher nicht entdeckt. Ebenfalls noch erhalten geblieben ist die in ganz Polen bekannte Schokoladerie Pierniki Torúnskie. Wenn wir in Torun sind, müssen wir hier immer zuschlagen...
Bereits einen Tag später waren wir in Warszawa (Warschau) angekommen. Leider gab es unsere von früheren Aufenthalten her bekannte Herberge nicht mehr... Die Alternative für wenig Geld hieß "Billige Unterkunft" - und so war sie denn auch! Angesichts der kurzen Verweildauer in der polnischen Hauptstadt - was für ein Jammer - akzeptierten wir jedoch das schmucklose Zimmer und stürzten uns in die Stadt: Warszawa - so unsere Prognose - wird in den kommmenden Jahren neben Berlin d e r Geheimtipp unter Europas Städten sein.
Abgesehen davon, dass hier in Warszawa alles doppelt so teuer ist, wie in anderen Orten Polens, ist Warschau ein quicklebendiges, dynamisches und besuchenswertes Fleckchen Erde - ein großartiges Stadterlebnis. Der Altstadtplatz Stary Rynek muss sich nicht hinter einer italienischen Piazza verstecken. Manchmal wähnten wir uns mitten in Italien. Es wimmelt an allen Ecken von Künstlern und Überlebenskünstlern. Kultur wird groß geschrieben in der kleinen Altstadt: Ein Höhepunkt für uns war die aktuelle Gedenkveranstaltung für Opfer des Warschauer Widerstands, der sich dem Naziregime selbstvergessen entgegenstämmte. Die gesamte Altstadt ist in dieses Gedenken einbezogen, überall sahen wir überdimensionale Fotos der Kämpfer und Gefallenen: Sehr beeindruckend.
Trotz der im Sommer touristisch überlaufenen Plätze der Stadt gelang es uns ausserhalb des Zentrums recht günstig über die Runden zu kommen. Gewohnt haben wir in einem Studentenwohnheimzimmer etwas Abseits des Trubels - im Sommer stehen die teilweise leer. Hier wimmelt es von Tante-Emma-Läden, Zapiekanka-Verkäufern und allerlei kleinen Restaurants. Nachts findet man unzählige Clubs. Eine Premiere war für uns der Besuch von Schloß Wilanów, der ehemaligen Residenz polnischer Könige, mit riesiger Parkanlage und Orangerie. Das Schloß selbst hat uns zwar etwas enttäuscht, sehenswert war aber die unfassbare Vielzahl an Brautpaaren in Weiß und Schwarz, die in der weitläufigen Anlage Hochzeitsfotos anfertigen lassen. Der Samstag ist der Heiratstag in Polen und so sieht man sie denn gestresst im Grünen flanieren, posieren und streiten...
Zu guter Letzt sind wir mit der Bahn nach Kraków geruckelt. Für 20 Euro die Nacht und ganz in der Nähe der berühmten Altstadt Starte Miasto haben wir ein ruhiges und gemütliches (Lehrer-) Hotel gefunden, das wir auf Empfehlung jetzt auch selbst bewohnen dürfen. In dieser Stadt hat sofort alles gestimmt: Die Umgebung ist total schön, einkaufen und essen kann man gut noch auf dem Weg in die Altstadt. Gleich nebenan sind die zwei kleinen Märkte der Stadt, unser Weg führt uns entlang des ehemaligen Königswegs.
Wir haben darüber hinaus bereits interessante Begegnungen gehabt: Sam - an seinen üppigen Tattoos unmittelbar als Ureinwohner Neuseelands identifizierbar - ist Maori durch und durch und reist seit drei Monaten durch Osteuropa. Er hatte den Ausflug seines Rugby-Teams nach London genutzt, hat sich "abgesetzt" und bleibt bis zur nächsten Saison... Heute treffen wir noch Junona und Bartek, alte Bekannte aus Duisburg, die (wieder) hier leben. Wir wollen gemeinsam das Jüdische Viertel ansehen, nachdem wir tags zuvor bereits die überragende Altstadt mit Cafés, Clubs und sehenswerter Stadtarchitektur (Weltkulturerbe-Ensemble) besichtigt hatten. Wow - was für eine Stadt.
Wir fühlen uns in Kraków wahnsinnig wohl und sind bereits ein wenig traurig, dass wir bald schon wieder weiterreisen. Mit einem Schwarm aufflatternder Tauben in unserem Hotelinnenhof verabschieden wir uns von Euch für diese Woche...
Dowidzenia Magdalena & Jörg