Galaktische Nebel, Ufo's und ein Pisco Sour - Eine Reise durch das Elqui-Tal und Coquimbo
von Jörg Schwarz
Wir sitzen im wunderbar einfachen und rustikalen Bendita Victoria - das frühere Chaski - im Herzen von Vicuña, einem kleinen 12.000-Einwohner Städtchen mitten im bezaubernden Elqui-Tal.
Wir haben gut und gesund gegessen, fühlen uns gerade ausgesprochen chillig und genießen den angenehmen Abend. Vor uns steht bereits der vierte eisgekühlte Grapefruit-Drink, eine fantastische, ja geradezu magische Variante des hiesigen Pisco Sour – Nationalgetränk Chiles. Wir können uns nicht satt trinken an diesem fruchtig-bitter-sauren Elixier! Es wird also auch heute spät werden...
Wir sind schon eine Weile hier, in der größten Siedlung dieser Berg- und Tal-Region im Mittleren Norden Chiles, das vor allem durch karge Bergrücken sowie üppig grün wuchernde Flusstäler ausgezeichnet ist. Die Region Coquimbo, die abseits der Küsten und der Region um Ovalle meistenteils wüstenartig und trocken daherkommt, ist das Zentrum der chilenischen Pisco-Produktion, einem traditionellen Traubenmost-Destillat, das in ganz Chile – pur oder als Pisco Sour mit Limettensaft, Zuckersirup und Eiweiß – mit Vorliebe als köstlich saurer Aperitif getrunken wird. Das Land ist seit Jahren mit Peru juristisch im Clinch über die die Frage, wer denn nun dieses Getränk erfunden habe und daher auch die Rechte dieses Namens vermarkten dürfe. Es mag Vieles für Peru in dieser Auseinandersetzung sprechen. Uns ist das völlig egal, denn der Weinbrand genießt sich hier im Elqui-Tal ganz vorzüglich und schon deshalb ist es gut, dass er hier produziert wird… Wir trinken ihn schließlich auch nicht vor dem Essen, wie es sich gehört, sondern immer danach! Sei’s also drum, was richtig oder falsch ist, für uns gehört er hierher…
Der Pisco überzeugt uns nicht nur als Getränk. Noch bevor der Traubensaft vergärt, begeistert er in seiner Vorform als volles Traubenbüschel an unzähligen Weinreben. Entlang der in den Tälern der Region fließenden Flüsse erstrecken sich aufgrund ausgeklügelten Wassermanagements ausgedehnte Flächen mit Wein- und Obstanbau, wuchern üppig-grüne Reben mit den typischen Pisco-Trauben die sonst eher gräulichen Hänge hinauf. Sie sind es, die Farbe in das karge Bergland bringen. Hier und da sieht man in der Sonne auch große Flächen zum Trocknen ausgelegter Trauben in den Pisco-Destillerien, überall kann man die Muskatellertrauben – es werden 8 dieser speziellen Traubensorte für den Pisco verwendet – am Straßenrand erwerben und genießen.
Vor gut zwei Wochen sind wir am Flughafen in La Serena – gilt in Chile als die Region der Strände und des Sommertourismus – mit einem Mietwagen Richtung Vicuña aufgebrochen, haben den Stausee Embalse Buclaro bestaunt, sind durch Tunnel und an steilen Hängen vorbei nach Vicuña gefahren und haben hier unser erstes Quartier aufgeschlagen. Nach eher anstrengenden und kräftezehrenden Trekkingtouren im Süden Chiles geht es uns hier für die nächsten Wochen um Wärme, Entspannung und Genuss. Bei sommerlichen Temperaturen machen wir höchstens Abstecher in die Weinberge und fahren auf kurvigen, engen Bergstraßen – unter uns stets grüne Oasen, über uns die wuchtigen, kargen Bergrücken – die Dörfer der Gegend ab. Die Sonne begleitet uns vom ersten Tag an und strahlt vom tiefblauen Himmel. Sie und die fantastische Landschaft tragen dazu bei, dass wir das Elqui-Tal jetzt schon lieben.
Bereits Vicuña hat uns total angesprochen. Das kleine Dörfchen ist ruhig und angenehm, wir sehen viele alte und traditionelle Lehmhäuser, bewohnen ein nettes Hostel und schlendern an nur einem Tag die Sehenswürdigkeiten des kleinen Städtchens ab: Vom Torre Bauer – einem markanten, offenbar vor anno dazumal aus Deutschland importierten Holzturm, der heute die Touristeninformation beherbergt – über den zentralen Marktplatz, die Plaza de Armas, zum Museo Gabriela Mistral, das der berühmten Literaturnobelpreisträgerin, die hier geboren wurde, gewidmet ist. Natürlich muss man sich eine der Destillerien in der Gegend anschauen. Nichts Spektakuläres, nichts Aufregendes findet sich hier, aber gerade die ruhige Gelassenheit in diesem Ort, eine Reihe netter Restaurants und Bars und die schönen Sonnenuntergänge, die jeden Abend ein unbeschreibliches Orange auf die umliegenden Berge werfen, haben ihren Reiz. Wunderbar sich hier einfach mal wieder treiben zu lassen…
Spektakulär wird es dann u.a. nachts: Die Region gilt als eine der astronomisch wichtigsten und interessantesten Regionen der Welt und zieht Stern- und Nachthimmelbegeisterte in Scharen an. Die Luft gilt hier als besonders klar, sie ist hier viel weniger "lichtverseucht" als anderswo. In der Umgebung Vicuñas finden sich daher auf zahlreichen Bergrücken berühmte und architektonisch futuristisch gestaltete Observatorien, wie u.a. das Observatorio Interamericano Cerro Tololo oder das touristischere Observatorio Cerro Mamalluca, die je nach Vorlieben unterschiedliche Besichtigungsprogramme und Führungen samt galaktischer Sternenschau offerieren. Wer Sterne und ihre Monde, Galaktische Nebel oder schwarze Löcher aus der Nähe bestaunen möchte, der ist hier genau richtig. Uns reichen bereits die bloßen nächtlichen Blicke in den Himmel, der hier bei Wolkenlosigkeit schon mit bloßem Auge atemberaubend strahlt und glitzert.
Nach einer Weile in Vicuña zieht es uns weiter, direkt in die kleinen, noch deutlich engeren Täler: Die kultivierteren am Rio Clara, die wilderen und naturbelasseneren am Rio Cochiguaz. Wir suchen nach einer gemütlichen Cabaña mit Pool, wollen einfach mal gar nichts tun und bei Pisco Sour in die umliegenden Berge schauen. Wir finden genau, was wir gesucht haben unweit von Pisco Elqui, verbringen ein paar Tage in der Hängematte und im Wasser, lesen viel und essen die Trauben quasi vom Strauch, die in der am Hang gelegenen Anlage überall üppig wachsen… Wenn die Sonne früh hinter den Bergen verschwindet, erkunden wir die hiesigen Ortschaften, besuchen den Kunsthandwerksmarkt in Horcón, Montegrande – den eigentlichen Wohnort Gabriela Mistrals – oder bestaunen die New-Age-Jünger in Cochiguaz, die hier immer wieder Ufos zu sehen meinen oder die scheinbar außergewöhnliche kosmische Energie dieses Ortes gesundheitsförderlich auf sich wirken lassen…
Als wir uns ausgeruht fühlen und wieder ein wenig mehr Entdeckergeist in uns spüren, nehmen wir den spektakulären Weg über Vicuña in Richtung Süden. Unser Ziel: Ovalle und das nahegelegene Valle del Encanto – ein vielversprechender archäologisch interessanter Ort mit präkolumbisch-indianischer Felsenkunst und einer sagenhaften Landschaft. Von hier dorthin? Nur möglich über eine nicht geteerte Holperpiste, von der wir zunächst gar nicht wissen, ob unser Leihwagen das überhaupt packt. Wir sollen uns auf „Rippenpiste, Staub und ziemlich viel Nichts“ einstellen, sagt man uns, bis man etliche Stunden später am Rio Hurtado und im gleichnamigen Tal mal wieder auf bewohnte Dörfer treffe. Und: „Kann man schon machen ohne Allradantrieb, aber angenehm wird’s nicht!“
Bereits der erste steile Anstieg, der uns auf unzähligen Serpentinen immer höher in die kargen Berge katapultiert, hat es in sich. Am höchsten Punkt angekommen lohnt ein Stopp und der Blick zurück: Wir schauen vom Mirador Antakari aus der Vogelperspektive in das Elqui-Tal und auf Vicuña und erhaschen ein letztes Mal das nun ferne Grün dieser Oase, bevor wir im nächsten Moment um die Ecke biegen und uns mitten in staubig-grauer Halbwüstenlandschaft wiederfinden. Was uns jetzt über viele Stunden ‚Auf und Ab‘ begegnet ist Einsamkeit pur: Bis auf ein paar wenige, teils verlassen wirkende Bauernhäuser und Anbauflächen sehen wir nur karg mit Buschwerk und Kakteen bestandene Hügel und Berge sowie einen sandigen Streifen vor uns, der sich gelegentlich weithin sichtbar durch die fantastische Landschaft windet und unseren Weg vorzeichnet. Allem Unken zum Trotz, ist die Strecke aber besser als ihr Ruf, kommen wir mit unserem Fahrzeug wunderbar voran. Unterwegs passieren wir die Zufahrt zum Observatorio Pangue und halten wir immer wieder an, um die Klarheit der Luft und diese absolute Stille zu genießen. Am Portezuelo las Tres Cruces, einem der hiesigen Pässe, besteigen wir einen kleinen, mit einer zerrissenen Chile-Flagge bestückten Bergrücken und schauen ehrfurchtsvoll in die Weite der Landschaft: „Von da hinten kommen wir und das liegt noch vor uns!“ Wir können von unserem Standpunkt aus über unzählige Kilometer in beide Richtungen die Spur unserer heutigen Route mit dem Finger nachzeichnen, auch wenn sie hinter einer Reihe von Kurven und Windungen immer wieder unsichtbar ist. Ein magischer Ort an dem man ausschließlich das Flattern der abgerissenen Flagge hört und sonst gar nichts. Schon ein bisschen unheimlich so allein mit dem Wind.
Irgendwann kommen wir an am Rio Hurtado und seinem Tal, das saftige Grün kehrt zurück, Gehöfte und schließlich kleinere Ortschaften, die dennoch wie menschenleer wirken. Unsere hiesige Unterkunft – wir freuen uns angesichts des heutigen Ritts schon den ganzen Tag darauf – ist die spektakulär am Fluss und in die umliegenden Berge von Morillos eingebettete Hacienda Los Andes, die zusätzlich mit kolonialem Flair und einem attraktiven Angebot aufwartet. Für uns geht heute nur noch eines: Im Hof der Hacienda in der untergehenden Sonne gut essen und einen eisgekühlten Pisco Sour genießen… Ein sagenhafter Tag geht zu Ende!
Obwohl die Hacienda und ihre Umgebung zum Verweilen einladen, zieht es uns weiter nach Ovalle und in das Valle del Encanto. Vorbei an Stauseen und deutlich flacher werdenden, dafür über und über mit Kakteen bestandenen Hügeln fahren wir in die spektakuläre Canyon-Landschaft hinein, lassen unser Fahrzeug immer wieder stehen und erwandern das Areal: Neben den riesigen Granitfelsen, die man immer wieder erklimmen kann und muss, beeindruckt das Tal des Limarí-Flusses vor allem durch seine archäologischen Sehenswürdigkeiten: Immer wieder finden sich in dem weitläufigen Gebiet Petroglypen und Piktogramme sowie weitere Spuren der hier früher angesiedelten Mitglieder der EL-Molle-Kultur (2. – 7. Jahrhundert n.u.Z.). Das indigene Volk hat zahlreiche rätselhafte Strichmännchen und Figuren im Fels hinterlassen, die gelegentlich an Marsmännchen erinnern oder zeremoniellen Kopfschmuck assoziieren lassen. Immer wieder stößt man auf tacitas, Felsenlöcher, die durch das wiederholte Schaben von Mörsern beim Zermahlen von Erden und Pflanzen entstanden sind. Uns beeindruckt das Areal aber vor allem auch landschaftlich. Ein sehenswerter Flecken Erde, dessen Besuch sich für zwei bis drei Stunden lohnt.
Unsere Elqui-Hurtado-Tour quer durch die herausragende Region Coquimbo endet mit einer letzten Übernachtung im Hotel an den Thermas de Socos, einem Thermalbad mit Saunen, dampfenden Bädern und kühlenden Pools… Ein angemessenes Abschlussziel, bevor wir morgen den Mietwagen wieder in La Serena abgeben und in die Region Atacama weiterziehen.
Wir sind sicher: Chile wird weitere Höhepunkte für uns bereithalten.
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