Beitrag Nr. 49
Moin Moin aus Koh Kong Stadt!
Wir grüßen aus dem äußersten Süd-Westen Kambodschas, nachdem wir heute erst aus Trat in Thailand zurückgekommen sind... Thailand? Wie sind wir denn plötzlich da gelandet? Nun, nachdem wir hörten, dass die Verlängerung unseres Visums in Phnom Penh ganze 10 Tage gedauert hätte - die Schnellversion wäre uns dagegen teuer zu stehen gekommen -, wir aber nicht so lange verweilen noch viel Geld berappen wollten, haben wir uns spontan dazu entschlossen, das Land kurzerhand für einen Tag zu verlassen. Durch die neuerliche Einreise in Kambodscha - an einem absolut kleinen und ruhigen Grenzübergang - haben wir erneut 30 Tage Zeit gewonnen - und das ab sofort und ohne Wartezeit...
Wir sind also in Koh Kong gelandet, wohin wir ja ohnehin das nächste Etappenziel geplant hatten und haben zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Hier haben wir zunächst unser Hotel bezogen, von wo aus wir in den kommenden Tagen die Umgebung erkunden wollen, ehe wir uns Richtung Osten Vietnam annähern. Auf dem Plan stehen die Insel Koh Kong mit ihren zahlreichen wundervollen Stränden, die Festlandbeaches an der Küste Richtung Thailand, Flüsse, Mangroven und Wasserfälle mitten im Dschungel des Hinterlands und vielleicht das Kardamongebirge... Das werden wir nun sehen, ist aber heute ja gar nicht das Thema hier!
Battambang, die französisch geprägte Stadt im Westen des Landes, steht heute im Zentrum - ein wahrlich besuchenswertes Ziel, ein Höhepunkt Kambodschas!
Aber lasst uns IN DIE SPUR kommen...
Battambang - die Schöne am Sengker-Fluss...
Wir nehmen also den Bus von Siem Reap, lassen die großen und bedeutenden Tempelanlagen der Khmer zurück und rumpeln nach Battambang. Leider ist die Hälfte der Strecke gerade eine Baustelle und wir brauchen gut eine Stunde mehr als geplant. Die Sonne deutet bereits ihren baldigen Untergang an, als wir am Busbahnhof einrollen. Sei es drum. Beim Verlassen des Busses - ich sehe schon aus dem Fenster, dass der Konkurrenzkampf unter den Taxi- und Tuc Tuc-Fahrern hier mit Ellenbogen ausgetragen wird - ignorieren wir erstmal alles und jeden. Nichts hasse ich mehr, als mich schon auf der vorletzten Stufe des Busses für irgendeinen mir völlig unbekannten Fahrer entscheiden zu sollen, der auch nur deshalb als erster vor mir steht, weil er der rabiateste ist... In aller Ruhe holen wir unsere Rucksäcke aus dem Bus, suchen die Adresse des Hostels heraus und laufen ein paar Schritte - die meisten Fahrer haben gar nicht die Geduld... Einer der Fahrer aber kennt offenbar diesen Typus Reisenden aus Germany und nimmt erstmal dezent und freundlich Blickkontakt auf. Er hat ein paar Jahre auf dem Buckel und alle Erfahrung, die es braucht, um letztlich auch uns herumzukriegen... "Nur einen Dollar", sagt er, will er zum Hotel hin haben, aber wir sollen in aller Ruhe entscheiden... Nun denn.
Unterwegs zur Innenstadt - wir wohnen auch hier etwas am Rande der geschäftigen Zone - zeigt er uns ein Heft mit Referenzen. Zahlreiche Deutsche haben sich hier verewigt und loben ihn über den Klee... "Immer wieder diese Deutschen", lacht er und es bricht nun, da er merkt, dass wir Vertrauen schöpfen und Sympathie haben, vor Leidenschaft aus ihm heraus. Schon als wir am Hostel ankommen - es sind gerade einmal 10 Minuten gefahren - kennen wir das Wichtigste der Stadt, sind die kommenden zwei Tage grob geplant und er - ursprünglich aus Phnom Penh, durch die Verschleppung der Roten Khmer aber hier gelandet - wird uns mit seinem klapprigen alten Tuc Tuc begleiten und führen.
Noch am selben Abend und ganz ohne Tuc Tuc machen wir uns in die Stadt auf, die uns gleich anspricht: Obwohl es schon dunkel ist, erkennen wir breite und angenehme Straßen, zahlreiche Geschäfte, die schon zu schließen beginnen, währen die Garküchen nun in vollem Glanz erstrahlen. Schnell sind wir am Zentralen Markt. Wir ziehen frisches Geld, laufen in die Altstadt mit ihren kolonialen französischen und chinesischen Gebäuden und freuen uns über gemütliche Cafés, nette Restaurants und ein paar Pubs... Wir essen gut, orientieren uns noch ein wenig und machen uns nach kurzer Zeit in unser wirklich freundliches und gutes Hostel auf - wir sind jetzt hundemüde von der Anreise.
Aber natürlich sind wir neugierig geworden. Die sehr lebendige, auch von Ausländern gut besuchte Stadt ist gleichwohl keineswegs overcrowded und die Auswüchse von Siem Reap sucht man hier vergebens. Im Gegenteil, sie hat eine gute Mischung aus authentischem Kambodscha, ersten guten touristischen Angeboten und einer freundlichen und unaufdringlichen Bevölkerung. Und sie ist wirklich richtig nett: Neben der Promenade am Sengkerfluss, den kleinen hübschen Innenstadtgassen mit den zahlreichen kleinen Stores oder den geschäftigen und spannenden Straßen zu unserem Hostel hin, verfügt sie vor allem über herausragend exotische und atemberaubende Märkte. Vor allem der ganz in der Nähe unserer Unterkunft gelegene Psar Boeng Chhoeung - den wir natürlich mit Phi Lay, unserem Tuc Tuc-Mann erstmals besuchen - haut uns wirklich um. Wir haben ja schon viele Märkte gesehen, aber was uns hier begegnet, ist echt krass! Der chaotisch und irgendwie doch geordnet wirkende Markt strotzt vor Leben, Gerüchen und einer ohrenbetäubenden Geräuschkulisse der so typischen Khmerlaute... Was wir hier sehen ist nichts für Tierschützer, Vegetarier oder Weicheier: Neben marktüblichen Angeboten sehen wir Frösche, denen bei lebendigem Leib die Haut abgezogen wird, es wimmelt von lebendigen Fischen oder Schlangen in Säcken, Körben, Plastiktüten. Phi Lay weist uns auf Hundefleisch und Ratten hin. Einige verkaufen geröstete Käfer, Kakerlaken oder Maden, andere Vögel, Heuschrecken oder Grashüpfer - ordentlich geröstet und in Chili eingelegt. Ein Festival der Sinne, man weiß nicht, wohin man zuerst schauen soll. Und um das auch zu sagen: All das wirkt keineswegs total abstoßend oder ekelhaft auf uns: Schon richtig, wir werden nicht zu Liebhabern von Maden und Kakerlaken, aber wir können uns durchaus vorstellen, dass man das so essen kann und dass es sogar schmeckt - allein wir können irgendwie nicht probieren! Gelernt ist gelernt.
Wir entdecken ein paar Leckereien aus frittierter Banane und Kokos oder probieren mal wieder einen gerösteten Grashüpfer - wir werden sie jetzt öfter vom Markt holen, die Bananenteilchen meine ich :-) -, genießen die pralle Fremdartigkeit dieses atemberaubenden Kosmos und staunen weiterhin Klötze.
Wir finden unser Lieblingsrestaurant in Battambang eher zufällig, weil wir auf der Suche nach den sog. Seeing Hands sind, den blinden Masseurinnen und Masseuren, die für diese Arbeit ausgebildet sind und mit dem Tastsinn bei der Massage das Fehlen des Augenlichts allemal ausgleichen können... Nach einer dieser Massagen also entdecken wir - an einer Ecke - das Corner Restaurant, das uns endlich mal wieder so richtig glücklich macht - wir werden jetzt öfter hier sein.
Überhaupt gefällt uns Battambang von Tag zu Tag besser, machen uns ihre Geschichte und Gegenwart sowie die zahlreichen kleinen Anekdoten und Geschichtchen, die wir ohne Phi Lay nie gehört hätten, Spaß. Er fährt uns heute zu einem schon aus der Entfernung mal gesehenen Denkmal mitten auf einer Kreisverkehrinsel - eine schwarze Figur, um die herum gefahren, gebetet und geopfert wird. "Das ist Ta Dambang" sagt er und verweist auf den Gründungsmythos der Stadt Battambang, dessen Name sich aus den Wörtern Bat (= Verschwinden) und Dambang (= Stock) zusammensetzt. Hier nämlich soll er einst aufgeschlagen sein, der magische Stab des "falschen Königs" Ta Dambang, der seinem eher zufälligen Besitzer Macht und Gewalt über das Königreich sicherte und die Menschen tyrannisierte. Erst als eine Traumsagung Wirklichkeit wurde - so Phi Lay - und Ta Dambang den "wahren König" mit dem Stab beim Wurf auf ihn verfehlte, da schlug er hier auf und sowohl der Stab als auch Ta Dambang verschwanden für immer aus der Stadt. Der wahre und neue Herrscher der Stadt aber gründete aus Anlass dieses Ereignisses hier die Stadt 'Bat Dambang', aus der das heutige Battambang wurde...
Am Phnom Sampeau - Killing-Caves und der Schwarm von Millionen von Fledermäusen am Abendhimmel
Wir machen uns am kommenden Tag mit dem Tuc Tuc auf den Weg in das Umland Battambangs. Entlang der vielbefahrenen Ausgangsstraßen huschen Straßenküchen, Korbwarengeschäfte oder Kfz-Werkstätten an uns vorbei. Wir biegen nun in eine ruhige Seitenstraße ein, zahlreiche Kinder winken uns euphorisch zu, neben uns schlängelt sich ein kleiner Bach in einem urwald-grünen Pflanzenband. Wir erreichen einen Tempelkomplex, der – wie wir nun erfahren – eine grausame Vergangenheit hat. Unser Fahrer Phi Lay berichtet uns nun von den mit eigenen Augen gesehenen und am eigenen Leib erfahrenen Folterungen und Drangsalierungen der Roten Khmer. Er selbst wurde als junger Mann von den maoistischen Schergen aus Phnom Penh hierher verschleppt und musste vier lange, harte und entbehrungsreiche Jahre auf den Feldern der Roten Khmer schuften – viele Menschen starben, haben die unmenschliche Arbeit nicht überlebt. Seine Familie wurde nahezu gänzlich ausgelöscht, er selbst sei daher hiergeblieben, als die Vietnamesen kamen, habe gemeinsam mit ihnen und später mit anderen die letzten Roten Khmer bekämpft.
Die Einzelheiten, die er schildert – immer Hunger, harte Arbeit in der unbarmherzigen Sonne ohne Wasser, die Haare seien ihm komplett ausgefallen, Menschen wurden zwangsverheiratet, Köpfe rollten, Vergewaltigungen und weitere grausamste Taten – kommen ihm teilweise nur stockend und unter heftigem Schlucken aus der Kehle, als er vor dem Gedenkschrein steht, in dem nicht nur die hier gefundenen Leichenteile aus den Killingfields aufgebahrt, sondern eben auch all die Schreckenstaten der Mörder als Reliefband nachgestellt sind. Es ist nochmal etwas ganz anderes, wenn man diese Geschichte Kambodschas aus erster Hand erfährt, man einem der Opfer bei der Schilderung der Taten direkt in die Augen blickt. Es ist nochmal deutlich wahrhaftiger, wenn er erzählt, womit er sich über Wasser gehalten, wie und was er getrunken, seinen Kopf vor der Sonne geschützt hat und seinen völlig ausgemergelten und zerschundenen Körper vor lauter Schmerzen lieber tot als lebendig gesehen hätte… Wie er trotzdem überlebt hat…
Wir machen irgendwann kehrt und fahren in die andere Richtung aus der Stadt heraus, nun dem sog. Bootsberg entgegen. Auch hier zeigt man uns das Grauen – wir sehen eine Killingcave, eine Höhle in der gefoltert und gemordet wurde -, aber nun auch wieder die schönen Seiten Kambodschas. Wir laufen den Berg zunächst schweißtreibend hinauf, haben schon unterwegs großartige Blicke auf die umliegende Landschaft, die mal wieder von zahlreichen Reisfeldern und kleinen Dörfern gesäumt ist. Weit hinten sieht man die staubige Nationalstraße Richtung Phnom Penh, hier und da eine buddhistische Anlage. Oben im weitverzweigten Wegesystem dieses Höhenzugs stehen unter schattenspendenden Bäumen bunt bemalte Tempel und fotogene Pagoden, Buddhafiguren und zahlreiche beeindruckende Höhlen, die teils von der einen zur anderen Seite des Berges hindurchgehen. Ein mächtiger, wunderschöner Skorpion kreuzt unseren Weg – gut, dass wir ihn rechtzeitig gesehen haben. Mönche gehen ihrer Arbeit nach und Kinder bieten sich als Guide an - natürlich um an ein paar Dollar zu kommen… Das Schönste aber ist die Aussicht, die wir nun von oben herab auf weite Teile des Landes im Nachmittagslicht haben: Atemberaubende Weitsicht und ein unverstellter Blick auf das Landleben.
Nun aber zurück, der Höhepunkt unseres Tages wartet noch auf uns, unten, am Fuße des Berges in einer der unzähligen Höhlen… Es dämmert schon etwas im Licht der untergehenden Sonne, als wir uns unten zu einer ganzen Reihe weiterer Besucher gesellen, die schon auf Stühlen und Bänken Platz genommen haben. Einige essen, andere trinken und wieder andere – zum Beispiel unsere beiden kambodschanischen Tischnachbarn – schlürfen eine für die Region nicht untypische Spezialität: Hühnerembryos, halbfertig ausgebrütete Hühner im Ei mit allerlei Soßen und Chili - für diese Zwei eine Delikatesse… Ich geh dann mal Bier holen…
Ich bin kaum zurück, als es losgeht… In der Höhlenöffnung vor unseren Augen – gut 100m in der Höhe und für alle wunderbar am Hang einzusehen – strömen Hunderte, Tausende - und später realisieren wir - Millionen von Fledermäusen in einer in hohen Frequenzen piepsenden und fiepsenden und nicht zu unterschätzend stinkenden Wolke heraus – pinkeln die etwa über unseren Köpfen…? Sie bilden eine atemberaubend schöne Spur am Abendhimmel, eine sich hierhin und dorthin verlagernde, Spiralen und Kurven formende Schlange aus Fledermäusen, ein sich windender und drehender Schwarm sich verdichtender und wieder ausschwärmender Körper am Horizont. Der Fluss reißt nicht mehr ab, um die Höhle vollständig zu verlassen benötigt die Population gute 45 Minuten bis zu einer Stunde. Ein Wahnsinnsschauspiel…
Wir bleiben eine Weile, schauen dem Spektakel begeistert zu und brechen gleichwohl nach gut 30 Minuten und noch vor der ganzen Meute an Touristen auf, um den nicht versiegenden Strom von Fledermäusen noch vor einem wirklich schönen Sonnenuntergangshimmel zu betrachten. Phi Lay hat ein gutes Gespür für den richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort… Zurück in Battambang vereinbaren wir uns für den nächsten Tag und gehen sehr gut essen!
Auf dem Bambustrain durch die Reisfelder
Frühmorgens geht es los, wir besuchen zunächst den oben schon beschriebenen Markt und machen uns dann erneut in eine andere Richtung des battambangschen Landlebens auf. Heute ist es eine holprige Tour, der Weg, den wir hier heraus unternehmen, hat zahlreiche Schlaglöcher und die Sensibilität unseres Fahrers für seine zwei Gäste auf der hinteren Achse hält sich in Grenzen… Dann aber sind wir da, ein kleines Dörfchen mit nur sehr wenigen Häuschen ist sichtbar, eine mobile Garküche, ein Verkäufer für ein paar kalte Getränke. Und die schon ziemlich ramponiert wirkenden Gleise des Zuges, auf dem wir heute fahren: Der Bambuszug!
Als wir ankommen wartet bereits ein spanisches Pärchen in der Hockstellung auf dem uns zugeteilten Bambuswägelchen, der aus einem flachen, direkt über den Schienen gelegenen Bambusboden, einem Schiffsmotor und den zwei metallenen Radachsen besteht – alles Marke Eigenbau… Wir begrüßen uns kurz, tauschen uns aus und hören, dass die Fahrt gut eine Stunde lang dauert – die Strecke hat keine Kurven, es geht geradeaus hin und zurück. Und dann geht es auch schon los, der Motor des Gefährts ist laut und macht sogleich ordentlich Tempo: Bis zu 40 km/h rasen wir nun auf holprigen Schienen dahin, die – wie man hört – demnächst regierungsseitig erneuert werden sollen. Mit den Bambustrains ist es dann wohl vorbei… Wir bedauern es jetzt schon, denn der Fahrtwind ist in der nun zunehmend heißen Mittagssonne eine wahre Wohltat, zudem ist die Landschaft zauberhaft. Reisfeld an Reisfeld - unterbrochen von Tümpeln und Seen, Bäumen und kleinen Wäldchen – zieht an uns vorbei und leuchtet in traumhaft schönem Grün, wir sehen Bauern in den Feldern, Angelfischer, die bis zum Bauch im Wasser stehen und offenbar große Fische mit Ködern anlocken und immer wieder auch - plötzlich auftauchend – Frauen bis zum Hals im Tümpel versunken, die scheinbar Reusen und andere Netze zum Fang von Garnelen und was auch immer kontrollieren und ernten… Eine für die Menschen anstrengende, für uns fabelhaft exotische Welt, die unserer so fremd ist.
Die Bambuswagen, auf denen heute mit viel Vergnügen die Touristen fahren, dienten hier seinerzeit keineswegs als Gaudi. Die einfach konstruierten Wagen wurden zum Transport der Bauern und Erntehelfer benötigt, um sie zu geringen Kosten, schnell und unkompliziert zu den Reisfeldern zu bringen, als es noch an Straßen und Fahrzeugen mangelte. Wir müssen jetzt aber absteigen. Gegenverkehr! Es gilt die Regel: Derjenige Wagen mit den geringsten Reisenden, muss abbauen und die anderen passieren lassen… ‚Aber Moment mal, wir sind zu viert, die da nur zu zweit…!‘ „Haha“, lacht er: „Regel Nr. 2: Wenn uns mehrere Fahrzeuge gleichzeitig entgegenkommen, wir also an Fahrzeugen in der Menge unterliegen, dann sind wir auch dran!“ Gesagt getan. Wir steigen ab, zwei Fahrer – auch die uns entgegenkommenden Bambuszüge stoppen erstmal – tragen den durchaus schweren Bambusboden und nun auch die noch schwereren Räderwerke von der Piste… Gleich drei Züge passieren uns nun grinsend mit vollem Tempo. Der letzte stoppt erneut und hilft unserem Fahrer beim Aufsetzen des Zuges – so ist auch immer der Bevorzugte ein bisschen mitbetroffen. Wir dagegen suchen die unbarmherzige Hitze auf offener Strecke irgendwie zu überstehen, hoffen auf baldigen Fahrtwind und bleiben faul am Rande stehen: Wir haben schließlich Urlaub!
Kaum sitzen wir und fahren, weiter von der Umgebung und dem Wind um die Nase fasziniert, kommt der nächste Bambuszug auf uns zu: Da sitzen doch tatsächlich fünf! Alles von vorn, absteigen, abbauen, aufbauen, aufsteigen… Ich schwitze nur vom Zuschauen und denke mir, dass ich völlig ungeeignet wäre, hier zu arbeiten, in einem Land, dessen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit mir Ströme von Wasser den Körper herabtreiben… Wir kommen irgendwann an, stärken uns mit einer Kokosnuss in einem provisorischen Stand – auch Klamotten und Souvenirs werden verkauft – und fahren zurück, wo uns erneut die vier gemeinsam fahrenden Bambuszüge auf neuer Tour entgegenkommen. Nur einmal, ganz zum Schluss, da dürfen wir nun auch mal sitzen bleiben, denn der Nachzügler hat nun nur zwei Leute auf der Bambusplatte sitzen… Alles insgesamt ist das Spektakel eine riesen Gaudi und es wäre bedauerlich, wenn man diese schöne Kulisse nicht auch weiterhin vom Bambuszug aus erforschen könnte…
Nicht schon wieder Tempel...
Weiter geht es immer über Land. Sandwege und stark beschädigte Straßen machen die Fahrt holprig, langsam aber so auch angenehm, denn man kann ja viel besser beobachten. Wir holpern mal wieder zwei Khmertempeln entgegen und würden doch viel lieber weiter dem Treiben der Bauern, Fischer oder den im Wasser spielenden Kindern zusehen. Doch auch die nächsten Ziele haben es in sich, sind sehenswert und wirklich schön gelegen – wir werden ihren Besuch nicht bereuen... Wir erreichen zunächst - es ist heute stark bewölkt und dennoch unerträglich heiß - den Wat Banan-Komplex, stehen vor einer mehr als haushohen Treppe, die einen beeindruckenden Hügel hinaufgeht. Naga-Schlangen laufen als Treppengeländer an den Seiten entlang, wir sind meistenteils im Schatten… Natürlich lösen die steilen Stufen die nächste Schwitzattacke aus, sind wir klitschnass, als wir oben ankommen. Aber der Tempelkomplex, der an die Angkor Wat-Periode erinnert und den wir nun sehen – klein, gut erhalten, wundervoll gelegen und einsam – ist einen Besuch allemal wert. Zwei Menschen sehen wir hier oben, die sich bei einem Mönch eine bessere Zukunft erhoffen, sonst ist es ruhig wie auf dem Mond. Lediglich Blätter rascheln im Wind. Wir setzen uns auf die obersten Stufen und saugen das einfach ein...
Wir verweilen ein wenig, laufen die beeindruckende Treppe hinab und speisen fürstlich: Eine Sauersuppe mit köstlichem Gemüse – man möchte sich reinsetzen… Dann rumpeln wir auch schon weiter, kommen auf dem Weg zur nächsten Khmerruine in ein Dorf der Cham. Die Menschen dieser Minorität in Kambodscha – einstmals eine stolze und große eigenständige Nation in der Gegend zwischen den heutigen Ländern Kambodscha und Vietnam, ehe die Khmer die Cham besiegten und integrierten – sind Muslime, was man angesichts der hiesigen Kleiderordnung denn auch schnell realisiert. Freundliche Menschen treten uns entgegen, grüßen freundlich und lassen uns im Ort frei und unbehelligt unserer Wege gehen. Wir laufen ein paar Meter durch das Dorf, das an einem breiten Fluss liegt, beobachten das quirlige Treiben auf dem Land und im Wasser, wo die Kinder der Gegend jetzt das kühle Nass genießen und schreiend, tobend und fröhlich baden…
Etwas weiter vorn überqueren wir eine große Hängebrücke, sehen den Fischern beim Auswerfen ihrer Netze im Fluss zu und gelangen irgendwann zu dem angekündigten weiteren Tempelkomplex, der Wat Ek Phnom. Ein riesiger sitzender Buddha thront am Rande eines Areals, auf dem wir modernere, architektonisch schmucklose, dafür aber bunt bemalte Tempel neben alten verfallenen Ruinen eines Khmertempels realisieren. Ein soziales Schulprojekt für die arme Landbevölkerung wird hier umgesetzt – eine NGO wirbt für die offenbar englischsprachige Schule und bietet den Kindern als Köder auch Mahlzeiten vor Schulbeginn… Denen scheint es hier so zu gefallen, dass sie auch jetzt noch, am späten Nachmittag, hier verweilen. Sie spielen mit einem Lehrer Fußball, auf einer Wiese vor dem noch unfertig wirkenden Buddhakoloss. Der soll zwar schon seit Jahren abgerissen werden – warum eigentlich? – und sitzt noch heute hier… Die Menschen der Region haben sich offenbar für ihn stark gemacht…
Auch die hiesige Ruine ist sehenswert, mehr wegen der üppig blühenden Blumen, die das Areal hier zieren, aber auch sonst. Allein, wir merken nun doch eine gewisse Tempelmüdigkeit und im Vergleich mit Angkor Wat verblasst ein solcher kleiner Tempel natürlich schon etwas… Dafür treffen wir auf die drei glücklichsten Kinder, die wir in diesem Land bisher gesehen haben und die Begegnung erwärmt unser Herz aufs Äußerste: Drei Kinder kommen auf uns zu, das übliche „Hello“, „What is your name?“, so wunderbar freundlich und neugierig, wie eben nur Kinder sein können, offen und – wenigstens diese drei hier: ohne Scheu. Ob wir nicht etwas zu essen haben, fragt ein kleiner schmächtiger Kerl, dessen Haare kurz geschoren sind, seine Hände hält er direkt mal auf und streckt sie uns entgegen. Sie kommen nah an uns heran, lächeln offen und machen fragende und wohl auch ein paar flehende Augen… Natürlich gibt es hier weit und breit nichts zu essen, aber Magda hat ein paar schmackhafte Ingwerkekse in der Tasche, die sie nun herausholt… Der Vorrat reicht aus und wir können jedem Kind zwei der Kekse in die schmutzigen kleinen Hände legen. Es beginnt ein Schauspiel der besonderen Art: Die drei fangen an zu springen, ja sie tanzen um uns herum, jubeln und freuen sich ein Loch in den Bauch. So ein wunderbares Lachen von Kindern, nur weil man ihnen zwei Kekse schenkt, die in Nullkommanichts vertilgt sind… Wir freuen uns unwillkürlich gemeinsam mit den dreien…
Ein kleines rundliches, leicht übergewichtiges und deshalb großes Mädchen – sie mag auch ein Jahr älter sein als die zwei Jungs – legt spontan ihre Arme um mich und meinen Bauch und schmiegt ihren Kopf an selbigen. Eine für Asien doch eher überraschende aber offenbar sehr ernst gemeinte, von echter Dankbarkeit und Freude erfüllte Geste. Ich bin einen Moment sehr angefasst und ergriffen. Mit welcher Inbrunst und Intensität dieses Mädchen sich bei uns bedankt… Die anderen tun es ihr nun nach, wir werden geherzt und umarmt, jedes Kind bedankt sich auf diese herzliche, intime Weise - dann ziehen sie von dannen, nicht ohne mehrfaches „bye bye“… Natürlich sind genau das die Momente echten Glücks - auf Reisen wie zuhause –, die Momente in denen man spürt, dass es die kleinen Dinge sind, die Glück verheißen… Wo aber hätte sich in Deutschland zuletzt je ein Kind so über Kekse gefreut? Wohlstand allein macht nicht glücklich – so viel ist gewiss…
Einer der Jungs kam übrigens später nochmal zu uns: Natürlich hatte er sofort gesehen, dass noch ein Keks übrig war und er war schlau genug zu wissen, dass er besser nochmal allein wiederkommt…
Arbeit, Arbeit, Arbeit - wovon die Menschen in der Region leben...
Um noch ein wenig näher an die Menschen in der Gegend heranzukommen, beschließen wir uns erneut mit Phi Lay auf die Suche nach ihnen zu machen. Wir wollen typische Arbeits- und Produktionsprozesse der Menschen hier erkunden, wollen sehen, von welcher Arbeit sie leben und beginnen in einer Edelstein-Werkstatt, in der Steine unterschiedlichen Werts zu Edelsteinen und Schmuck verarbeitet werden. Als wir ankommen, ahnen wir Schlimmes: Will man uns hier etwa auf diesem Weg lediglich zum Kauf von Edelsteinen und Schmuck ermuntern, wie wir das aus Thailand kennen? Aber es kommt anders. Wir werden freudig begrüßt, durch eine kleine Halle geführt, in der wir mehrere Arbeitsplätze sehen - vor allem Schleifsteine und Aufbauten, Werkzeug und Lupe -, sechs Mitarbeiterinnen arbeiten an der Veredelung der Steine, die nur teilsweise aus der Region kommen. Man zeigt uns wie das geht, freut sich über die Abwechslung und tuschelt über die Fremden, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, aber immerhin neugierig sind... Alle haben an der Begegnung Freude. Wir werden zu den Endprodukten geführt und zu unserem großen Erstaunen nicht zum Kauf gedrängt - es herrscht eher Stolz vor, Stolz auf die eigene Arbeit und darauf, dass sich zwei Deutsche so ganz ohne Kaufabsicht dafür interessieren. Niemand hier ist beleidigt oder enttäuscht, dass wir nichts erwerben - wenigstens haben wir es nicht gemerkt...
Die Reihe der weiteren Besuche heute ist lang: Wir erkunden die Arbeit einer Mattenknüpferin - die aus einem Naturprodukt, einem breiten Gras, wunderbar strapazierfähige und angenehme Matten fertigt -, eine Familie, die von der Herstellung des für Frühlingsrollen verwendeten Reispapiers lebt, die wir so lieben, oder die Hersteller von getrockneten Bananenplättchen, die in der kambodschanischen Küche viel Verwendung findet. So fahren wir also von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf und erleben auch heute wieder - ganz am Rande all der gezeigten und näher betrachteten Dinge - einen tiefen Einblick in Land und Leute Kambodschas. Für uns das eigentlich Interessante an diesem Land...
Empfehlungen
Unterkunft
Sehr empfehlenswert ist das im Preis-Leistungsverhältnis beinahe unschlagbare
-
Lucky Hostel, Street 101/108, Krom. 42, Prekmohatep Village, Sangkat Svaypor, Battambang, Tel. +855 86 550 008. Neben einem Innenpool, Billardtischen und
Fahrrädern, verfügt das Haus über großzügige Zimmer. Es liegt ein wenig am Rand der Innenstadt, man ist aber - durch interessante Straßen - auch schnell im
Zentrum.
Speisen
- Unser Favorit in Battambang ist eindeutig das Corner Restaurant, Ecke Streets 104 und 115, Tel. +855 12 253 152. Großartige, sehr besondere
Frühlingsrollen (siehe Bild oben), tolle Suppen und Gerichte mit viel Gemüse. Die Auswahl an Fruchtsäften und Shakes kann nicht geschlagen werden - höchsten von Bier... Also hier hat echt alles
gestimmt...
-
Im About the World Restaurant, Road Nr. 2.5, Krong Battambang, Tel. +855 98 343 472, bietet eine eingespielte und wahnsinnig
freundliche Familie beste Khmerküche - vor allem die Curries sind klasse! Netter kleiner Laden...
- Wen gelegentlich mal wieder die Indische Küche gelüstet, der ist im richtig guten Flavors of India, Street 121, Krong Battambang, Tel. +855 53 731 553 quasi nach Indien zurückversetzt: Authentische leckere Küche von kambodschanischen
Indern...
Allgemeines
- Battambang ist als Stadt ein sehr attraktives Fleckchen, es macht immer wieder Spaß einfach durch die französisch geprägte Stadt zu laufen, das alte und großzügige Kolonialgepräge, aber auch die immer wieder sichtbaren chinesischen Storehouses zu erkunden - vor allem aber ist die Stadt so herrlich kambodschanisch, sie bietet Exotik pur!
- Hervorzuheben ist der Markt Boeng Chhoeuk, wir haben keinen außergewöhnlicheren gesehen, als diesen hier... Einfach hingehen, durch die Stände laufen und staunen... Bestenfalls mit einem kundigen Einheimischen, der auch verrät, was man eigentlich sieht...
- Die überall in der Stadt anzutreffenden Seeing-Hands Masseur/-innen - Blinde, ausgebildete Masseure - bieten ein seriöses Angebot und haben Charme, mal abgesehen davon, dass hier sehbehinderten Menschen eine sinnvolle Aufgabe und ein Einkommen geboten wird. Ganz in der Nähe des Corner Restaurants (s.o.) sind gleich mehrere Praxen zu finden...
- Natürlich ist aber vor allem das Angebot außerhalb der Stadt das eigentliche Schätzchen Battambangs: Man kann das per Motorrad erkunden oder per Rad - wir dagegen empfehlen weiterhin die Fahrt in den angenehmen Tuc Tuc's, schon weil die Fahrer - so man an einen guten gerät - einem neben den Sehenswürdigkeiten auch vieles Alltägliche, Spannande zeigen können und sich einfach auskennen... Auf den sandigen und holprig verzweigten Wegen zwischen Reisfeldern und Flüssen muss man sich auch erstmal zurechtfinden...
- Wir können dieses Original eines kambodschanischen Tuc Tuc-Fahrers sehr empfehlen, auch wenn er uns manchmal zu schnell durch ordentliche Löcher gebrettert ist, da war er nicht ganz so sensibel... Er ist an Leidenschaft nicht zu überbieten, ist lustig, ein Quell sprudelnder Informationen und Zeitzeuge wie Opfer der Roten Khmer und spricht darüber, was ein besonderes Erlebnis ist... Wendet Euch an den englischsprechenden Phi Lay Ob, Tel. +855 12 68 22 30, +855 98867191. So auch über Whats App erreichbar.
- Sehenswert sind auf jeden Fall:
- die landschaftliche Umgebung der Stadt Battambang - einfach in der von Reisfelderwirtschaft geprägten Gegend herumfahren und mit offenen Augen sehen, was das Leben der Menschen ausmacht...
- die Bambuszüge, von denen in der Region mehrere fahren...
- der Phnom Sampeau (Bootsberg) - sowohl der Aufstieg zu den Tempeln und Pagoden, als auch die Killingcave sowie weitere Höhlen - vor allem die Aussicht ist sensationell!
- Am Fuße des Phnom Sampeau findet jeden Abend vor Sonnenuntergang das Schauspiel der Millionen von Fledermäusen statt, das man gesehen haben sollte
- die Tempel Wat Ek Phnom und Wat Banan - alte Khmer- und neue buddhistische Tempelanlagen in herrlicher Landschaft sind besuchenswert, schon wegen ihrer Atmosphäre - wenige Besucher, viel ländlicher Charme und nette Menschen...
- Wer es noch ertragen kann, der sollte sich auch die Killingfields der Region mal zigen lassen - man begreift immer mehr, was die Roten Khmer dem Land und seinen Menschen angetan haben und versteht, wieso das Land heute da steht, wo es steht...
- Lasst Euch die zu den Menschen bringen... Sowohl die zahlreichen Produktionsbetriebe, als auch die Dörfer der Fischer (von Cham und anderen) lassen Euch verstehen, wie Kambodscha tickt und wie hart die Menschen arbeiten...
Ausblick
Spuren | WECHSLER fahren zum Tonle Sap, an die Ufer des zweiten großen Stroms des Landes, neben dem Mekong. Auf dem Weg in Richtung Hauptstadt Phnom Penh machen sie einen Stop in Kompong Chhnang und bleiben ein paar Tage...
Sie besuchen die faszinierenden Schwimmenden Dörfer auf dem Tonle Sap, wo vietnamesisch- und cham-stämmige Kambodschaner das ganze Jahr über auf dem Wasser leben. Sie durchqueren das Dorf per Boot mit einer hier lebenden Vietnamesin und staunen nicht schlecht über durchaus gemütliche und wohnlich wirkende schwimmende Behausungen und schwimmende Gärten - einfach alles hier schwimmt...
Da die Region für ihre Tonwaren berühmt ist, werden unsere Helden auf dem Land außerdem nach den Wurzeln dieser Kunstfertigkeit suchen, werden sie unterschiedliche Produktionsformen und die Vielfalt der Töpferwaren im Umfeld Kompong Chhnangs kennenlernen. Darüber hinaus nehmen sie die nächste Portion kambodschanischen Landlebens mit, ehe sie zum zweiten Mal Phnom Penh beehren und im städtischen Wahnsinn ihr Glück suchen. Nur so viel vorab: Es gilt u.a., im Nationalmuseum das Kapitel Khmertempel endgültig abzurunden, denn fast alle gefundenen Schätze und Schmuckstücke, Figuren und mehr wurden aus den Tempeln hierherverfrachtet...
Folgt uns auch kommendes Mal IN DIE SPUR
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