Bericht Nr. 46
Viele liebe Grüße aus Kompong Thom!
So schnell geht das: Gerade noch in der Erinnerung an Malaysia geschwelgt, nun schon wieder Grüße aus Kambodscha, einem der ärmsten Länder der Welt, aber wie wir schon merken, ganz sicher einem der interessantesten und spannendsten Länder Südostasiens…
Wir sind heute bereits etwas abseits der ganz großen Touristenströme gelandet, haben uns auf dem Weg in das Massentourismusziel Siem Reap (Ankor Wat) in Kompong Thom, im zentralnördlichen Kambodscha absetzen lassen und stehen kurz vor einer atemberaubenden Mehrtagestour durch den kambodschanischen Dschungel. Es gilt die weit verstreuten, großartigen Tempelstädte der früheren Khmergrößen zu entdecken, die die Geschichte des Landes stark geprägt, über die der Dschungel aber seinen Mantel des Vergessens gelegt hat… Davon beim nächsten Mal mehr.
Wir haben uns – trotz ereignisreicher letzter Tage in Kuala Lumpur – dazu entschlossen, nicht noch einmal auf Malaysia zurückzukommen in diesem Blogbeitrag. Wir werden all unsere Erfahrungen mit Kuala Lumpur zu gegebener Zeit aufgreifen, nachholen und arbeiten stattdessen nur unsere neuesten Erkenntnisse in die Reise | TIP-Seiten ein, um Euch die letzten aktuellen praktischen Reiseinformationen weiterzugeben… Wir haben in Kambodscha bereits soviel neuen Stoff erreist, dass wir diesen Beitrag reinhalten wollen und Phnom Penh widmen. Die Hauptstadt Kambodschas ist wahrlich voller Inspiration und Gehirnnahrung und hat uns bereits so viel Spaß gemacht, dass wir das hier heute zentral aufgreifen möchten…
Lasst uns nicht so viel Vorworte machen: Rein ins Vergnügen! Rein in eine Stadt, die wie das alte – fast schon verlorengegangene – Asien daherkommt… Phnom Penh!
Phnom Penh - das Tor zu Kambodscha
Als wir über dem Süden des Landes in Richtung der Hauptstadt aus dem Flugzeug sehen – der Bassac, der Nachfolgefluss des großen Tonle Sap-Flusses sowie der Mekong fließen hier eine Weile parallel nebeneinander her – bleibt uns kurz die Spucke weg: Wasser so weit das Auge reicht… Der Süden des Landes hat ‚Land unter‘. Wir erkennen gerade noch Baumwipfel und Dächer, gelegentlich eine Insel samt Dorf und mal eine freie Straße. Drumherum aber ist es nass und steht eine braune Brühe. Das Wasser scheint sich überall ausgedehnt zu haben… Die armen Menschen denken wir noch und müssen doch unwillkürlich auch an unsere eigenen Reisepläne denken: Haben wir uns verspekuliert? Hatten wir nicht gehofft, dass die im Oktober zu Ende gehende Regenzeit tatsächlich schon ad acta gelegt sein könnte, wenn wir hier ankommen? Wollten wir nicht die Chance auf ein paar schöne Tage vor dem Start der Hauptsaison nutzen? Mit gemischten Gefühlen landen wir also in Phnom Penh und lassen uns in einer Blechlawine vom Feinsten zu unserem Hotel bringen. Verkehrschaos und Stau heißen uns in der Stadt willkommen…
Je näher wir unserer Unterkunft kommen, desto angenehmer wird es optisch allerdings. Breite Straßen und Alleen mit zahlreichen Bäumen sind zu sehen, schattige Geschäfte, staubige Werkstätten, viele einfache Restaurants. Hunderte – was sage ich: tausende von Mopeds pesen durch die Stadt, Tuc Tucs transportieren Menschen oder Gegenstände, Lasten werden gezogen und geschoben, hier ein LKW, dort ein Schubkarren… Es wimmelt von Menschen auf den Straßen und im Kontrast zu Malaysia wird uns sofort klar: Kambodscha ist kein reiches Land. Es zählt vielmehr noch immer zu einem der ärmsten der Welt und auch wenn gleichzeitig eine Mittelschicht existiert und darüberhinaus die Porsches, Mercedes-Benz und Rolls Royces im Straßenbild sichtbar sind, wir sehen vor allem die Mittellosen in der Stadt recht deutlich: Familien, die in einem Tuc Tuc „wohnen“, eine Frau die hinter Plastiktüten auf Kartons auf der Straße "lebt". Wir sehen zerfetzte und vom Leben ohne Obdach gezeichnete Kleidung - manchem hängt tatsächlich das „letzte Hemd“ am Leib. Wir begegnen Blicken, die starr und hoffnungslos, desillusioniert und müde sind , gezeichnet von einem harten Lebensalltag… Unser Hotel wirkt anschließend wie eine Oase des Glücks: Wir haben Raum, AC und einen schönen Pool… Uns geht es wirklich gut, Mann!
Uns aber interessiert die Stadt, die wir sofort erkunden. Wir laufen heute und in den Folgetagen den nördlichen Teil der Innenstadt ab – in den Tagen jetzt lassen wir den Südteil aus, denn wir sind ja nicht das letzte Mal hier –, lassen uns durch die Gassen treiben. Immer wieder sehen wir schöne alte Gebäude aus der Zeit der französischen Kolonialgeschichte, erkunden kleinere, teils im Aufbau befindliche Tempelanlagen und genießen bei strahlendem Sonnenschein den Schatten der weitverbreiteten Bäume. Es gibt ein paar wenige Sehenswürdigkeiten – u.a. das Nationalmuseum – und wir gelangen zum Tonle Sap-Fluss, an dessen Ufern man ganz passabel flanieren kann. Wirklich spannend aber ist das Leben um uns herum, dass der Armut trotzt und viel Zuversicht ausstrahlt. Menschen lächeln uns schüchtern zu, preisen ihre Waren an oder wollen eine Dienstleistung verkaufen.
Immer wieder fühlen wir uns an unsere ersten Asienerfahrungen vor 25 Jahren erinnert: Wir staunen über das Kabelgewirr über unseren Köpfen – dass das funktioniert erscheint uns noch immer als Wunder -, genießen das Arbeiten und Leben auf der Straße, das von mobilen Essenständen, Steinmetzen, Schmieden oder Näherinnen auf dem Bürgersteig und unzähligen spielenden Kindern geprägt ist. Wir sehen Fahrradrikschas an der Kreuzung stehen, Mönche erhaben dahinschreiten und sind von den zahllosen alten Mopeds hingerissen, die aus nicht mehr allzu vielen Originalteilen zusammengesetzt scheinen und dennoch fahren… Hier in Phnom Penh, wo mittlerweile viel gebaut wird und auch schon hier und da große Glasfassaden-Wolkenkratzer am Himmel zu sehen sind, kann man es noch entdecken: Das alte Asien! Das Asien unserer ersten Jahre auf diesem spannenden Kontinent.
Wir laufen über Märkte und an Straßenständen vorbei, können dabei die Frösche und Vögel in den Auslagen nicht ignorieren, riechen zahllose bekannte und unbekannte Aromen und bekommen davon fast logisch Hunger. Wir haben die Qual der Wahl, entscheiden uns für die traditionelle Khmerküche und speisen hervorragend… Viel Gemüse kommt auf den Tisch, gewürzt wird dezent – große Schärfe ist nicht die Sache der Kambodschaner… Eine Mischung aus thailändischer und vietnamesischer Küche ist sie, die Khmer Quisine, eher leicht und mit viel Frühlingszwiebel, Koriander und Knoblauch versetzt… Richtig klasse sind die Khmer-Curries, bisher meist mit Kürbis, Kartoffeln und Bohnen in Kokosmilch, die ich jetzt schon liebe… Und ja: Bier ist sehr sehr günstig hier - und gut! Für einen halben US-Dollar zapfen die hier beispielsweise Ganzberg – ein nach deutscher Brauart und deutschem Rezept in Kambodscha hergestelltes Gerstengebräu, welches als Deutsches Bier verkauft wird… Die anderen Sorten heißen wie fast alles hier: Angkor, Cambodia, Anchor… Man bezieht sich stark auf die historische Größe der früheren Khmer-Reiche…
Wir sitzen also im Restaurant – es ist ein Eckhaus, das zu den Straßenseiten hin offen ist – und blicken auf das interessante Treiben auf der Straße, dass uns sekündlich Fotomotive der Extraklasse bietet. Dann wird es plötzlich düster. Ohne weitere Vorankündigung und wie auf Knopfdruck öffnen sich die Schleusen und ein Wolkenbruch geht nieder, wie wir ihn nur selten gesehen haben… In kurzer Zeit steht die Straße unter Wasser, läuft es – inzwischen über den Bordstein hinweggelangt – ins Restaurant. Die Welt geht unter! Besen und Wasserschieber werden hektisch eingesetzt, das Restaurant verteidigt. Ein Wahnsinnsschauspiel und nur gut, dass es Tuc Tucs gibt, die uns – als wir realisieren, dass das nicht so schnell aufhören wird – trockenen Fußes ins Hotel bringen… An diesen Regenguss erinnern wir uns aber auch deshalb so genau, weil er bis heute – gut 9 Tage später – der letzte gewesen ist, der uns hier begegnet ist… Unser Wetterglück scheint uns treu zu bleiben: Seither Sonne und viel Hitze! Die Regenzeit ist vorbei! Geht doch!
Zwischen Tempeln, Pagoden und Palästen...
Schon seit ein paar Tagen laufen wir immer mal wieder in die vielzähligen buddhistischen Tempelanlagen, die mit reich verziertem Mauerwerk und wunderschönen Toren geradezu zum Eintritt einladen. Innerhalb der Mauern stellen wir dann fest, dass in fast allen noch gearbeitet wird, dass sie erst noch im Entstehen sind... Mönche laufen uns immer wieder über den Weg, bitten uns herein oder winken uns zu. Heute aber wollen wir uns den wohl unumstrittenen Höhepunkt und die Sehenswürdigkeit Nr. 1 in Phnom Penh anschauen: Den Königspalast samt Silberpagode. Wir sind zur Mittagszeit losgelaufen, um am Eingangsbereich festzustellen: Erst um 14:00 Uhr wieder geöffnet!
Wir haben also noch etwas Zeit und vertreiben sie uns... Entlang der großen Außenmauern des Palastes - sie sind zum Tonle Sap-Fluss hin verkehrsfrei - flanieren wir gemeinsam mit ein paar wenigen Touristen. Immer wieder mal werden wir von Tuc Tuc-Fahrern angesprochen, die uns natürlich nur zu gern die Stadt zeigen würden und die unterschiedlichsten Strategien haben, wie sie an uns heranzukommen gedenken... Aber da haben wir jetzt Erfahrungen satt und mindestens ebenso viele Gegenstrategien... Wir laufen entlang des Wat Botom Parks, wo uns Bäume ein wenig Schatten spenden, besuchen das Kambodschanisch-Vietnamesische Freundschaftsdenkmal und wähnen uns hier, angesichts der sozialistischen Kunstformen des Denkmals, manchmal im Treptower Park in Berlin... Ohnehin ist es mit der Freundschaft der beiden Staaten nicht sehr weit gekommen, die beiden Staaten betrachten sich teils mit Argwohn...
Wir gehen um die Ecke herum, besichtigen noch das große Unabhängigkeitsdenkmal und machen uns dann endlich auf in den Königspalast... Schnell noch ein T-Shirt für Magda gekauft - ärmellos geht gar nicht! - und dann rein in das ausgedehnte, wie ein Parkareal wirkende Gelände. Das hiesige Gebäudeensemble erinnert uns - seiner Architektur nach - direkt an den Thailändischen Königspalast in Bangkok, der wohl auch als Vorbild gedient hat, als zur Zeit der französischen Kolonialherrschaft (Protektorat von 1863 bis 1941) die Hauptstadt von Ouodong - wir werden diese ehemalige Hauptstadt noch kennenlernen - hier nach Phnom Penh verlegt wurde. Der 1866 n.u.Z. begonnene und erst 1920 n.u.Z. vollendete Palast ist wundervoll. Augenfälligstes Gebäude ist der Thronsaal, dessen prächtige vielfach gestaffelte Dachkonstruktion mit dem viergesichtigen Türmchen - übrigens in den 90er Jahren mit deutschen Entwicklungshilfegeldern restauriert - höchstens noch von dem Prunk seines Inneren übertroffen wird... Ein wirklich schönes und stilvolles Gebäude...
Wir passieren die Königliche Schatzkammer, den Bankettsaal und die Königliche Verwaltung samt Napoleon III-Pavillon und stehen im wirklich fast noch bezaubernderen Areal der berühmten Silberpagode, die ihren Namen trägt, weil ihr Bodenbelag aus tausenden von Silberplatten besteht, der aber weitgehend mit Teppichen belegt ist. Aber auch sonst ist diese Pagode eine der sehenswertesten in ganz Kambodscha: Reich geschmückt und atemberaubend verziert beherbergt sie eine Reihe wichtiger kambodschanischer Buddhafiguren und Reliquien, wie u.a. den wunderschönen Smaragdbuddha. Besonders besuchenswert ist sie aber auch wegen ihrer schönen und besonnenen Stimmung und Atmosphäre - wenn, ja wenn denn nicht zu viele Gäste gerade durch sie hindurchstolpern... Auch die weiteren Sehenswürdigkeiten hier sind klasse, zeugen von der großen Kunstfertigkeit kambodschanischer Künstler, aber auch von der schwierigen Vergangenheit: Die ausgedehnten Reamker-Darstellungen an den Wänden des die Außenmauer schmückenden Ganges jedenfalls sind arg vernachlässigt worden in den Jahren der Schreckensherrschaft der Roten Khmer - wir kommen noch darauf zu sprechen - und können wohl nur an einigen Stellen wieder restauriert werden. Während unserer Besuchszeit arbeiten Restaurateure gerade an der Wiederherstellung einer Wand und das Ergebnis lässt die ganze Pracht der früheren Darstellungen erahnen...
Eines jedenfalls ist klar: Man muss kein Freund ausgiebiger Tempelerkundungen oder Buddhist sein, um die Sehenswürdigkeiten hier zu besuchen. Sie sind nicht nur sehenswert, sondern in ihrer Klasse und Güte zu den herausragendsten touristischen Must-sees der Stadt zu zählen.
Bewegte und bewegende Geschichte(n) - Schreckensherrschaft der Roten Khmer
Es scheint auf den ersten Blick nicht viel zu geben, was Kambodscha mit Deutschland teilt. Und doch verbindet die beiden Länder - freilich jedes Land in sehr spezifischer und wieder kaum vergleichbarer Weise - eine schreckliche Schicksalsgemeinschaft: Das gemeinsame Schicksal, einst ein Staat gewesen zu sein, dessen Menschen, oder doch wenigstens ein (viel zu großer) Teil von ihnen, sich schlimmster Verbrechen gegen die Menschlichkeit und übelster wie unvorstellbarer Gräuel schuldig gemacht haben. Was in Deutschland die Nazis auf ihre Weise, waren in Kambodscha die Roten Khmer auf ihre... Es versteht sich, dass wir uns diesem Thema in Phnom Penh gewidmet haben.
Auf der Basis eines vorhergehenden Militärputschs in Kambodscha und vor dem Hintergrund des (auch) in Vietnam offen ausgebrochenen (Ost-West-)Konflikts erstarkten nun auch in Kambodscha - zeitgleich mit den 68er-Unruhen in Europa - die Kommunisten der Bewegung Rote Khmer. Ihre Anführer, unter der Führung von Pol Pot - er wurde 'Bruder Nr. 1' genannt - studierten zuvor gemeinsam in Paris und hatten nichts weniger im Sinn, als die Erneuerung Kambodschas. Ihre Bewegung erstarkte, hatte 1970 beinahe schon ein Viertel des Staatsgebiets und 1972 mit Ausnahme von Phnom Penh und einzelner Provinzstädte das gesamte Land unter Kontrolle. Als im April 1975 auch die Hauptstadt in ihre Hände fiel, begann bis zur Befreiung durch vietnamesische Truppen 1978/79 die schlimmste Zeit der Schreckensherrschaft der Roten Khmer, die beinahe 20% der Bevölkerung Kambodschas - einige gehen sogar von 30% und mehr aus - unter grausamen Umständen das Leben kostete. Phnom Penh wurde für einige Jahre komplett entvölkert und fiel in einen Dornröschenschlaf, von der sich die Stadt in der Folge nur schwer erholte. Ihre Einwohner mussten auf den Feldern des Landes die aberwitzigen Zielvorgaben des Regimes erfüllen, starben auf dem Weg dorthin, während der unmenschlichen Arbeit oder an den Folgen davon. Von den Roten Khmer zu "Feinden der Idee" erklärte Menschen - dazu gehörten, wie immer, u.a. Intellektuelle, Künstler, Lehrer und schlicht Brillenträger (ich passe irgendwie in alle Kategorien gleichzeitig...) - wurden rücksichtslos gefoltert und gemordet, und im Land in Massengräbern verscharrt. Zwei der eindrucksvollsten Orte dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit - leider sind nur wenige der Täter vor Gerichten dafür zur Rechenschaft gezogen worden - können in Phnom Penh und Umgebung besichtigt werden. Sie sind heute ähnlich wichtige und doch genauso grausame Gedenkstätten wie deutsche KZ's.
Wir besuchen das berüchtigte Folter-, Internierungs- und Todesgefängnis S 21 - heute das Tuol Sleng Genozid-Museum - im Herzen der Stadt sowie die sog. Killing Fields - heute die Gedenkstätte Choeung Ek - gut 12 km außerhalb vor den Toren Phnom Penh's.
Wer in das S 21-Gefängnis kam, so heißt es, kam nicht mehr wieder heraus... Nur sehr wenige Menschen - an zwei Händen abzählbar - überlebten den Komplex, der zuvor eine Schule war. Eine der perfiden Regeln der Anstalt lautete sinngemäß: Lieber einen Unschuldigen töten, als einen Schuldigen entkommen lassen... Ziele der Folter waren Selbstbeschuldigungen, Geständnisse und Denunziationen - der Wahrheits- oder Plausibilitätsgehalt der abgepressten Informationen schien völlig irrelevant. Das Ergebnis war stets ein Schuldbekenntnis und der qualvolle Tod. Oder: Der qualvolle Tod ohne Schuldbekenntnis...
Wir laufen stumm mit Audio-Guide durch die Anlage und erhalten fantastisch aufgearbeitete Informationen und Fakten, Zeitzeugenaussagen und Hintergrundgeschichten zu den einzelnen Orten des Geschehens oder den beteiligten Personen. Schon die ersten Räume sind erschütternd, zeigen sie doch die Folterräume, das metallische Folterbett samt Fußeisen und die dokumentarische Fotografie des letzten, zumeist gnadenlos verstümmelten und schwer mißhandelten Opfers in dem Raum, wie die vietnamesischen Soldaten sie bei der Befreiung vorgefunden haben, als die Schergen das Gebäude kurzerhand verlassen haben... Diesen Menschen sind im Hof Gräber eingerichtet worden. Die Informationen und visuellen Eindrücke in nahezu allen Bereichen des Areals sind harter Tobak. Nicht jeder verdaut das Gesehene.
Nach und nach verdichten sich die Informationen, man erhält ein gutes und recht schlüssiges Bild von den Geschehnissen hier, die teils so abstrus und abgründig sind, dass man sie selbst im Zusammenhang mit der kranken Ideologie der Täter und den Zeitumständen nur rational verstehen und überhaupt akzeptieren kann. Emotional sträubt sich alles. Wir sind am Ende erschüttert, betroffen sowie mitgenommen und dennoch froh, dass wir hier waren. Man sollte das als Besucher unbedingt sehen! Wir haben viel gelernt und erfahren über unser Gastland, wie es war, wie und warum es so geworden ist und weshalb es heute sich so darstellt, wie wir es jetzt erleben werden... Schon nach nunmehr fast 14 Tagen in Kambodscha können wir sagen, dass wir vieles im Land jetzt deutlich besser verstehen: Seinen Status Quo, seine Herausforderungen und seine Wunden... Vieles ist uns tatsächlich schon begegnet, während wir uns hier fortbewegen...
Wir machen uns weiter auf, noch tiefer in die kambodschanische Vergangenheit einzudringen... Überall im Land haben die Menschen Massengräber der Khmer Rouge gefunden. Hunderte, gar tausende wurden so im ganzen Land verscharrt. Eines der bekanntesten ist der unter dem Namen Killing Fields berühmt gewordene Ort, der schon zuvor als Chinesischer Friedhof fungierte und wo sich Nacht für Nacht schreckliche Szenen abgespielt haben müssen. Einzelne Massengräber sind hier eingezäunt separiert worden, wir lesen die Anzahl der hier verscharrten Toten und die Umstände ihrer Exhumierung, zollen Tribut und erfahren auch hier über den Audioguide eine große Anzahl an weiteren Informationen, lauschen Augenzeugenberichten der Überlebenden sowie den Aussagen der Täter vor Gericht, die ihr Handeln meist kühl beschreiben und ihr Tun vermutlich selbst kaum je begreifen werden... Besonders erschütternd sind der Babybaum, an dem hunderte von Kindern zerschellt sein müssen und die 35 m hohe Gedenk-Stupa, in der von unten bis oben gut 9000 der hier gefundenen Leichen(-teile) eine letzte Ruhestätte erhalten haben - zugleich Mahnmal für die Menschen heute. Die einzelnen Skelettteile wurden sorgfältig untersucht und nach Alter sortiert, sie sind hier - etwas makaber - durch Scheiben hindurch zu betrachten. Zugleich beschreibt die Gedenkstätte die Art und Weise ihrer Tötung und zeigt anhand forensischer Erkenntnisse und der dazu ausgestellten Mordwerkzeuge akribisch auf, wie diese Menschen und womit um ihr Leben gebracht wurden.
Selbst für einen Deutschen, der sich zur Genüge mit den menschenverachtenden Taten der eigenen nationalen Geschichte in Konzentrationslagern, anderen Einrichtungen des Deutschen Reichs und Schlachtfeldern in ganz Europa auseinandergesetzt hat, der also einen gewissen Grad der Abgeklärtheit mit dieser Art menschlicher Abgründigkeit vorweisen kann, ist das hier alles schwer verdaulich... Aber es bestärkt darin, denen entgegenzutreten, die erneut menschenverachtenden und gesellschaftszersetzenden Hass-Ideologien anhängen und fröhnen...
Gelebter Buddhismus im Wat Phnom
Nach diesem wenig schönen, wohl aber wegweisenden historischen Teil der kambodschanischen Geschichte – die Entwicklung des gesamten Landes kam zum Erliegen, zahlreiche, vor allem gut ausgebildete Menschen – sog. Know how-Träger – wurden vernichtet und damit ein Teil der Zukunft des Landes, das Regime sorgte durch zahlreiche Landminen auch im Nachhinein für viele Versehrte und für die bis heute teils anhaltende Unbegehbarkeit einzelner Areale – wollen wir uns mal wieder Angenehmerem widmen. Die Zukunft hat längst begonnen in Kambodscha, der Aufbruch ist spürbar, auch wenn es (vor allem politische) Rückschritte und Hindernisse gibt, von denen wir hier aber jetzt nicht sprechen wollen…
Ein Freund empfiehlt uns den Wat Phnom, den atmosphärisch vielleicht schönsten, auf jeden Fall meistverehrten buddhistischen Tempel der Stadt – im nördlichen Teil des Stadtzentrums gelegen – und den wollen wir uns nun mal anschauen… Wir machen uns – sehr zum Unmut all der Tuc Tuc-Fahrer am Straßenrand – zu Fuß auf den Weg. Kopfschütteln: Wie kann man nur…? Vorbei an großen Shoppingmalls und dem Psar Thmei – einem riesigen überdachten Markt mit allerlei Souvenirs, Schmuck und Klamotten – laufen wir die Straßen der Gegend ab, die uns unverändert Spaß machen. Es bleibt bei dem oben geschilderten Bild: Alles lebt auf den Straßen, hier brodelt es in Töpfen, dort werkelt der Mechaniker an Motoren und da hinten – wie kann es heute an irgendeinem Ort der Welt anders sein? – werden Smartphones verkauft… Wir überqueren begrünte Alleen, passieren das Wirtschaftsministerium und stehen irgendwann vor der großen Treppe zum Wat Phnom.
Der Aufgang zum Tempelbereich ist von Naga-Schlangen, dem mythischen Schlangengott der Hindus mit dem vielköpfigen Kobraantlitz gesäumt, oben stehen große Löwen. Da uns der Aufstieg jetzt in der Hitze anstrengend erscheint, nehmen wir den um den Tempelberg herumführenden, moderat aufsteigenden Weg hinauf… Wir gelangen so zunächst in einen sehr chinesisch wirkenden Teil des Areals, sehen chinesische Götter und Tempelwesen und befinden uns eingehüllt von viel Rauch… Die Stimmung hier ist sehr authentisch, Gläubige opfern am Altar, wir sehen in fast allen Figuren dieses Bereichs Geldscheine stecken, um die Götter gnädig zu stimmen und ein wenig Glück zu erbitten… Beim weiteren Aufstieg kommen uns Mönche entgegen, lächeln uns Schülergruppen zu oder bestaunen uns erwachsene Kambodschaner vom Land, die offenbar nur selten Touristen sehen…
Das Areal ist wunderschön: Geisterhäuschen, Figuren, Flaggen und Reliefs schmücken den Vorhof, wundervolle weiße Stupas umringen den Haupttempel, Lotusblumen liegen als Opfergaben bereit und Frauen beten vor einem Schrein der Großmutter Penh – der Legende nach, die Gründerin der Stadt… Aber erst das Tempelinnere verzückt uns vollends: Dicke, bunt geschmückte Kerzen stehen vor einem üppig geschmückten, von zahlreichen Opfergaben reich verzierten goldenen Buddha. Ihn umringen weitere wundervolle Figuren und Stoffe, Kerzen- und Räucherstäbchenqualm wabern auch hier durch den stillen Raum und betören die Sinne. Das kleine Gebäude ist über und über mit Szenen aus dem Leben Buddhas bemalt und es wird ganz klar: Dieser Buddha wird von den Menschen der Stadt extrem verehrt und wir sehen in der Tat innig betende Menschen. Ein Treiben, dem wir ewig zusehen könnten.
Unser Zwischenfazit zu Phnom Penh: Eine wirklich besuchenswerte Stadt mit viel Flair und Atmosphäre sowie durch und durch asiatischem Gepräge. Es ist gerade die Mischung aus dekadentem Reichtum und unvorstellbarer Armut, die die Stadt derzeit bestimmen. Es ist ihre Dynamik von Protz, Aufbruchsstimmung und Existenzkampf sowie der sichtbare Pragmatismus und die Überlebenskunst der Menschen hier, die der Stadt eine Authentizität der besonderen Art beschert. Wir wünschen den Menschen für ihren Weg das Beste und laben uns derweil an der atemberaubenden Fremdheit und Exotik, die ein solches Leben für uns hat… Dafür reist man ja!
Empfehlungen
Unterkunft
Wir haben in Phnom Penh in der nördlichen Innenstadt unser Lager aufgeschlagen und waren mit der Umgebung wie dem Hotel sehr zufrieden:
- The Billabong Hotel, Nr. 5 Street 158, Phnom Penh, Tel. +855 23 223 703, +855 92 229 306, www.thebillabonghotel.com, info@thebillabonghotel.com - das Haus ist eine gute Mischung aus Hostel und Hotel, bietet schöne große und ruhige Doppelzimmer mit Balkon, Pool, Bar und Restaurant, aber auch Mehrbettzimmer mit Gemeinschaftsbädern... Es richtet sich wohl eher an junges Publikum, die Mitarbeiter/-innen jedenfalls sind sehr jung...
Speisen
In Phnom Penh hat man die Qual der Wahl...
- Man kann überall sehr gut an Straßenständen und mobilen Garküchenständen essen, einfach die Augen offen halten...
- gut gegessen haben wir u.a. in unserem Hotel (s.o.) - probiert mal das Khmer Curry! Sagenhaft lecker...
- richtig zufrieden bei typischen Restaurantpreisen für das Hauptgericht von 5 US-$ waren wir im Phka Slaa Khmer Restaurant, Nr. 219, Preah Ang
Yukanthor Street (19), Phnom Penh, Tel. +855
23 990 652 - herausragend gewürzte Gemüse, scharfes Rindfleisch mit Ginger & Onion. Sehr zu empfehlen.
-
ganz hervorragend war auch das chinesische
Restaurat Tinat, 70Eo, Street 51 Ecke Street 154, S/K Phsar Thmei 3, Phnom Penh 12312, Tel.
+855 10 885 252 - Chinese
geht immer! Und hier ist es sogar gut!
- überraschend hervorragend war das tourstische SnaDai Cafe, direkt gegenüber dem Haupteingang zu der Gedenkstätte Cheoung Ek - Killing Fileds, Tel. +855
Allgemeines
- In der Innenstadt (nördlicher Teil - also weitgehend oberhalb des Königspalastes bis zum Wat Phnom) kann man sich nach unserer Wahrnehmung sicher und ungestört zu Fuß fortbewegen und sich richtig intensiv durch die Gassen und Straßen treiben lassen... Hier finden sich auch eine Reihe von kleinen Tempeln durch die wir mit Vergnügen durchgelaufen sind...
- ein hervorragendes Tempelerlebnis bietet der nördlich gelegene Wat Phnom, der sowohl optisch viel her macht, als auch von der Stimmung und Athmosphäre her... Richtig interessant ist der am Rande stehende taoistische Tempel, der viele Gläubige anzieht. Es ist ein kleiner Eintritt zu zahlen und im Tempel wird die Bedeckung zu freizügiger Körperteile erwartet...
- ein must see ist in Phnom Penh natürlich der Königspalast mit der Silberpagode... Wir waren da gut 2 Stunden drin... Achtet auf die Öffnungszeiten, denn mittags schließen die da! Auch hier erwartet man angemessene Bekleidung, freie Schuldern und Beine bei Frauen sind nicht angesagt... Unsere Lieblingsorte finden sich alle im Areal der Silberpagode: Der Tempel mit dem Fußabdruck Buddhas, der kleine vollständig zugewachsene Phnom Mondap und natürlich die Wandgemälde, soweit sie einigermaßen erhalten oder wiederhergestellt sind...
- Wer einkaufen oder einfach nur ein bisschen Schauen möchte, der findet sicher was materielles im Psar Thmei, Schmuck und Klamotten sind bei uns hängen geblieben...
- für den harten und direkten Zugang zu einem der ganz wichtigen Teile der Geschichte Kambodschas - die Zeit der Herrschaft der Roten Khmer - sollten die Gedenkstätten des S 21 - Tuol Sleng Genozid Museum - und die Killing Fields - Choeung Ek - besucht werden...
-
- Wir hören, dass hierfür die meisten Hotels/Hostels Touren anbieten, die beide Orte für gut 5 - 7 US-$ anfahren, reiner Transport...
- Nehmt Euch auf jeden Fall einen Audio-Guide auf deutsch oder englisch, die sind hervorragend aufbereitet und obligatorisch.
- es kann sein, dass manches in den Gedenkstätten Eure Grenzen überschreitet... Lasst es doch trotzdem zu, man muss sich hier berühren lassen...
Vieles werden wir dann noch während unseres zweiten Steps hier besuchen und testen...
Ausblick
Spuren | WECHSLER ziehen zuerst in eine der abgelegensten und untouristischsten Gegenden Kambodschas. Auf dem Weg nach Siem Reap - uns das wird dann mal so richtig touristisch - machen sie einen ausgiebigen Stop in der besuchenswerten Stadt Kompong Thom.
Sie erkunden die nette und unprätenziöse Stadt und brechen mit einem ihrer Söhne zu einer großen Tour durch die wiederentdeckten Tempelstädte und Ruinenanlagen der kambodschanischen Vergangenheit auf. Mehere Tage geht es durch ausgedehnten Dschungel, vorbei an grünen und vollen Reisfeldern sowie über gute wie schlechte Pisten in den zentralen Norden des Landes und bis zur Grenze Thailands. Es ist eine Reise zu alten, vergessenen Städten - aber auch zu dem aktuellen Leben der kambodschanischen Landbevölkerung in dieser Region.
Tempelruinen wie Preah Vihear, die mit wundervollen Tempelverzierungen oder atemberaubender Aussicht glänzen, werden dabei ebenso auf dem Plan sein, wie die Weltkulturerbestätten Sambor Prei Kuk oder Koh Ker. Uralte aber wunderschöne Khmerarchitektur, die der Dschungel unter sich begraben hat, Bäume, die Tempelareale umschlingen wie eine Krake oder wunderbar stimmungsvolle, beinahe verwunschene Orte werden dabei sein. Aber auch der Besuch eines Homestays, in dem unsere Helden unter den bescheidenen Verhältnissen kambodschanischer Bauern übernachten werden...
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