Beitrag Nr. 7
Moin Moin!
Tja, leider ist bezüglich meines Arbeitsplatzes heute von paradiesischen Umständen weit und breit nichts zu sehen… Wir befinden uns mitten in der eiskalten und windigen Wüstenstadt Uyuni, ein – gelinde gesagt – ziemliches Kaff im Südwesten Boliviens, das wirklich kaum den Hauch von Schönheit hat. Leider lässt sich über unsere Unterkunft kaum ein besseres Urteil abgeben…
Was zum Teufel machen wir hier? Wir stehen vor dem Besuch einer der größten Attraktionen Boliviens, wenn nicht Südamerikas: Morgen geht es auf eine mehrtägige Tour über den größten Salzsee der Welt, den Salar de Uyuni, sowie durch den Nationalpark Fauna Andina Eduardo Avaroa, in dem Geysire, farbige Lagunen, bizarrste Naturlandschaften und ziemlich viel Nichts auf uns warten… Der Preis für all das sind eben Uyuni und die Kälte…
Doch bevor wir uns Bolivien im nächsten Blog näher widmen, steht heute noch einmal eine der Hauptattraktionen Perus im Mittelpunkt unserer Betrachtung: Der Titicacasee.
Kurz greifen wir zudem die ersten Erfahrungen in La Paz auf...
Kommt ‚IN die SPUR‘, Leute!
Cusco und die große Verheißung - Machu Picchu
Auf dem Weg nach Puno, der wohl angenehmsten Stadt am Titicacasee und Ziel vieler Traveller, machen wir Station in Cusco. Für uns ein Zwischenstopp, ein Zwischenhalt, um nicht zu lang im Bus zu sitzen… ‚Wie lang bleibt Ihr? Nur einen Tag?‘ Wir nehmen die mitleidigen Blicke der anderen Reisenden wahr, den Unglauben, die Verachtung. Wie kann man nur Machu Picchu auslassen, wie kann man dort vorbeifahren, angesichts der Tatsache, dass im Grunde fast jeder vor allem hier her möchte und alle Prioritäten in Peru in diesen Ort legt: Der Welt meistbeachtete und -besuchte Touristenattraktion…?! Andere Sehenswürdigkeiten werden ihr zuliebe ignoriert, werden bewusst vernachlässigt, nur um zu ihr zu gelangen: Machu Picchu… Empörung macht sich breit: ‚Wie kann man nur einen Tag bleiben!?‘
Ja, so ist es. Wir bleiben diesen einen Tag, weil wir beschlossen haben, in der Nebensaison wiederzukommen… Gerade ist es uns einfach zu voll.
Gleichwohl nehmen wir den Sog dieser großen Sehenswürdigkeit natürlich wahr, spüren wir den Stellenwert des Ortes, die Verheißung… Es ist nicht leicht einfach weiterzureisen, wohl wissend, dass sie dort oben wartet, die Ruine der Ruinen, DIE herausragende Stätte der Inka in hinreißender Lage. Wir informieren uns schon mal über alle Besuchsvarianten, -umstände und -kosten und reißen uns quasi von ihr los… Aber keine Sorge wir kommen wieder!
Einen Tag lang nehmen wir mit der schönsten aller peruanischen Städte – Cusco – vorlieb. Natürlich ist das ebenfalls viel zu wenig Zeit für diese Schöne... Das riesige geschlossene Ensemble kolonialer Architektur, weiß getüncht und mit massivem Mauerwerk versehen, sucht in Peru seinesgleichen. Wundervolle Plätze, historische Gebäude und traumhaft schöne Gassen – eng, steil, grobes Kopfsteinpflaster und Treppen – lassen unser Herz höherschlagen. Herausragendes Kunsthandwerk, kulinarische Klasse, feinste Unterkünfte – Cusco hat alles zu bieten… Die Stadt ist wirklich großartig, hat aber diesen einen Makel: Wenigstens in der Hauptsaison – jetzt also –, ist sie überlaufen von Touristenscharen… Da wir bisher in Peru fast immer die einzigen nicht-peruanischen Reisenden waren, sind wir davon etwas irritiert und benommen. Als uns Einheimische berichten, dass auch im Oktober noch gutes Wetter in der Region vorherrscht, beschließen wir die Region vorerst auszulassen und später zurückzukehren… Es geht für uns direkt an den Titicacasee.
Der Titicacasee – Puno und die Schilfinseln der Uros
Unsere Anreise an den großen See findet unter einer dichten Wolkendecke statt – etwas, was wir schon fast vergessen hatten: Wolken. Sieht man mal von Lima ab, ist dies wirklich der erste Tag unserer Reise, an dem wir die Sonne kaum sehen… Wir fahren gleichwohl durch atemberaubende Puna-Landschaften, flankiert von schneebedeckten Bergen, sehen viele landwirtschaftliche Betriebe und sehr viel Vieh. Von oben fahren wir nach Puno herein, blicken auf sie hinunter und erleben eine quirlige und geschäftige Stadt am See, der von hier oben ebenfalls gut zu sehen ist... Über alle Tage hier erleben wir in den Gassen der Stadt Fiestas, Tänze und – ja: Lehrerstreiks…
Zunächst trotten wir durch die ebenfalls gut besuchte und im Stadtkern kleine aber attraktive Stadt, betrachten die Sehenswürdigkeiten und Plätze, lassen uns treiben und informieren uns über mögliche Ziele in der Umgebung. Der Besuch einer Attraktion stand für uns schon vorher fest: Die Schilfinseln der sogenannten Uros, einer kleinen ethnischen Bevölkerungsgruppe am See.
Vor langer Zeit schon hatten wir eine Dokumentation über die gefährlichsten Schulwege der Welt gesehen. Sie handelte von einem Jungen, der mit seiner Familie auf einer aus Tutora-Schilf gebauten Insel auf dem Titicacasee lebte und mit einem aus Schilf geflochtenen Boot die Schule besuchte. Jeden Tag mehrere Stunden Bootsfahrt, um zur Schule gehen zu können… Unterwegs nahm er noch andere Kinder auf – unter anderem den kleine Harald – der uns nachhaltig in Erinnerung geblieben war… Von der unfassbaren Anstrengung mal abgesehen, ein solches Schilfboot zu steuern, hat der See seine Tücken: Vor allem nachmittags kann es zu Stürmen und schwieriger See kommen. Interessant am Rande: Das Leben der Uros auf dem See. Für uns stand fest, dass wir uns das mal ansehen…
Gesagt getan: Wir laufen quer durch die Stadt zum Hafen und buchen uns mit einer Gruppe Peruaner auf ein Ausflugsschiff ein. Es ist angenehm warm auf dem See, kaum Wind, die Sonne strahlt… Der See wirkt tiefblau. Wir fahren auf Kanälen durch die sich natürlich ausdehnenden Schilfflächen, die sich etwas außerhalb auftun und sehen die Schilfinseln der Uros näherkommen… Was für ein riesiges Dorf, das sich nun zu beiden Seiten ausbreitet, Insel an Insel. So groß haben wir das nicht erwartet… Die Inseln leuchten gelb im blauen Wasser des Sees, fast überall sehen wir Hütten aus Schilf, geflochtene Eingangsportale und Schilfboote, die nichts mehr mit denen gemein haben, die wir in der Dokumentation gesehen haben. Das sind Touristenboote mit Katzenköpfen und ähnlichem Schnickschnack! Soweit das Auge reicht sehen wir die Inseln in den Titicacasee ragen – und überall: Schilfboote mit Touristenschmuck.
Nun steuern wir eine Insel direkt an, es warten dort bereits zwei Uro-Frauen. Sie schwingen mit den Hüften im Takt und singen für uns! Aha… Ein komisches Gefühl beschleicht uns beim Aussteigen auf das weiche, unter den Füßen nachgebende Schilf, das hier zur Verstärkung in dicken – noch grünen – Schilf-Bündeln aufgelegt wurde… Das Laufen auf der Insel ist ungewohnt, immer wieder gibt der Boden nach, das ist in dieser Form für uns tatsächlich ungewohnt… Orthopäden werden die hier nicht brauchen! Wir bewegen uns auf diesem weichen Grund, sehen eine Insel komplett aus gelben oder grünen Halmen der hier überall wachsenden meterlangen Tutora-Schilf-Pflanze: Die Insel selbst, das Eingangstor, die Hütten, Sitzgelegenheiten, einfach alles ist aus getrocknetem Schilf… Wir sehen aber auch Solarzellenanlagen, um Strom zu erzeugen und: Produkte der Uros. Auch wenn wir das nicht anders erwartet haben, ein bisschen direkt erscheint uns das hier schon…
Zunächst erhalten wir eine Einführung in das Leben und Funktionieren der Uro-Welt. Die kleine indigene Gruppe der Uros, von denen heute viele auf dem Festland leben, wurde einst – zu Inka-Zeiten – auf den See verdrängt. Um sich den kriegerischen Auseinandersetzungen um das Land nicht aussetzen zu müssen, zog man das Leben auf den Inseln und dem See vor und entwickelte die traditionelle Art der Uros hier zu leben, die so faszinierend ist. Wir erfahren, wie die Inseln technisch gebaut werden, dass man das von unten fortgesetzt verfaulende Schilf im Grunde permanent erneuern muss und einiges über die Bräuche und Riten der Uros. Dann werden wir in kleineren Gruppen in die umstehenden Hütten gebeten.
Nun beginnt eine für uns fast unerträgliche Verkaufsprozedur. Wir sind die einzigen nicht-peruanischen Gäste und erhalten eine Vorführung der Uro-Produkte von wirklich schönen bunten Decken bis zu Miniatur-Schilfbooten und Schilf-Mobiles. Man wendet sich nicht an die anderen Gäste, sofort sind wir es, die im Fokus sind. Wir erklären höflich, dass wir uns auf einer langen Reise befinden und keine Souvenirs transportieren können, also kein Interesse an einem Kauf haben. Immer wieder jedoch wird insistiert, wir erklären immer wieder höflich: Danke, nein. Ich versuche auf das Interesse der anderen Gäste in der Hütte zu verweisen, Mobiles seien doch wie geschaffen für die Kleinen im Raum… „Die haben kein Geld!“ wird uns von einer alten Uro-Frau erwidert, die langsam mit uns die Geduld zu verlieren scheint… Und wir verlieren sie langsam auch. Nochmal versuchen wir deutlich zu machen, dass wir das alles sehr schön finden, dass wir aber definitiv kein Kaufinteresse haben… Das muss jetzt auch mal klar sein. In endlos lang erscheinender Produktvorführung mit allen mega-professionellen Verkaufstricks und -kniffen – ich denke an frühere Diskussionen über Art und Weise von Akquise in ganz anderen Kontexten nach – werden wir weiter traktiert. Die Atmosphäre im Raum – alle Blicke richten sich erwartungsvoll nur auf uns – ist erdrückend unangenehm. Mittlerweile haben selbst die peruanischen Gäste mit uns Mitleid. Endlich sagt die Uro-Dame wörtlich: „Gut, dann dürft ihr jetzt die Hütte verlassen…!“ Und ich denke: ‚Na vielen Dank auch, durften wir das bisher etwa nicht…?!‘
Der Uro-Besuchstag ist für uns mit dieser Erfahrung eigentlich gelaufen… Es scheint nicht möglich zu sein, die Menschen hier einfach zu besuchen, ihnen als interessierter Mensch zu begegnen, ohne zu kaufen… Wir fahren noch mit den Touristen-Schilfbooten zur Hauptinsel, um auch dort über Mikro und Lautsprecherverstärker (!) minutenlang zum Kauf von Trucha (Forelle) aufgefordert zu werden, um genervt – ich kann es nicht anders sagen – die Rückfahrt zu erwarten. Höhepunkt dieser für uns unerträglichen Folkloreinszenierung: Wir werden von den zwei singenden Uro-Frauen, die an sich eigentlich total niedlich waren, mit diesem Song verabschiedet: „Alle meine Entchen schwimmen in dem See…“ – auf Deutsch! Nein wirklich, das ist denn doch zu viel, so nett das auch gemeint sein mag.
Abschließend müssen wir feststellen: Was hier – ganz offensichtlich und auch von anderen Reisenden so wahrgenommen – in hoher Frequenz tagtäglich passiert, ist beschämend für die Uros und ihre Kultur. Schade, wirklich schade.
Der Umayo-See und die Mumien von Sillustani
Weit schöner gestaltet sich unser Besuch der Umayo-Halbinsel im gleichnamigen, traumhaft schön gelegenen See, gut eine Stunde von Puno entfernt. Wir besichtigen die Chullpas (Grabtürme) der prä-Inka Gesellschaften der Colla, die auf dem wundervollen hügeligen Gelände weit verbreitet und verteilt stehen. Es handelt sich um Rundtürme, die aus quadratisch-rechteckigen Steinblöcken ohne Mörtel und andere fixierende Materialien bis zu 12m hoch erbaut wurden und in denen über viele Generationen bedeutende Persönlichkeiten mit ihren Familien beigesetzt wurden. Im Grunde befinden wir uns auf dem Friedhof einer schon lang verschwundenen Gesellschaft. Obwohl viele dieser Grabtürme geplündert wurden, deren Beigaben teils extrem wertvoll waren – Gold, Keramiken, Stoffe etc. –, haben Archäologen einzelne Grabbeigaben, samt dreier gut erhaltener Mumien, aus einer Chullpa retten können. Wir besuchen sie einen Tag später im Museo Carlos Dreyer in Puno.
Zunächst genießen wir den herrlichen Nachmittag am Umayo-See. Wir wandern durch das Gelände und bestaunen die gut 1000 Jahre alten Chullpa-Ruinen, erhalten spannende Informationen zu den Grabritualen und genießen immer wieder den Blick auf den tiefblauen See auf fast 3.900 m Höhe.
Im Anschluss an den Besuch der Gräberstätte erhalten wir Einblicke in das Leben der heute hier lebenden Dorfgemeinschaften und ihrer Campesinos. Wir werden auf ein umzäuntes Grundstück eingeladen, vor dem die hiesigen Nutztiere – wie Schafe, Lamas oder Alpakas – grasen. Wir erhalten eine Einführung in die Ernährungsweisen und Lebensmittel der Bauern – auch hier stehen Kartoffeln in allen Farben im Mittelpunkt – und staunen vor allem über die hiesige Tradition, Mineralien über ein Gemisch aus tonhaltiger Erde aufzunehmen. Wir probieren das Tongemisch wie Mayonnaise zu Kartoffeln… Na ja, es mag nicht unbedingt toll schmecken, aber gesund soll es sein… Es begegnet uns hier auch ein erstes Mal das sogenannte ‚pan natural‘, ein Art Krapfen, der uns von nun an hier am Titicacasee häufiger zum Frühstück begegnet…
Chillen am Titicacasee – Halbinsel Capachica und Santa Maria
Natürlich fährt man auch an den Titicacasee, um den See als See zu genießen… Der Titicacasse, 8.288 km² groß, auf etwa 3.800 m gelegen und einer der größten Seen der Welt, ist ein beeindruckend großes Binnengewässer und mehr als 15-mal so groß, wie der Bodensee. Ein Blick über ihn hinweg lässt auf der jeweils anderen Seite nur noch schemenhaft Berge erkennen… Peru und Bolivien teilen sich den See (wobei Peru den größeren Teil sein eigenen nennen kann).
Er gilt als ziemlich verschmutzt, weil insbesondere Flüsse aus den umliegenden Bergen Schwermetalle (vor allem aus legalen wie illegalen Minen) und andere auch natürliche Schadstoffe ungefiltert in den See transportieren… Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an einen Text zu dem Thema, der mit der sinngemäßen Hoffnung endete: 'Zukünftig mehr Titi denn Kaka!' Auch wir Reisenden haben hieran unseren eindeutigen Anteil...
Der Titicacasee gilt als ein extrem gefährdeter See, in welchem bereits viele hier ursprünglich lebende Fischarten wie andere Lebewesen vernichtet wurden. Er droht sogar, sollte an der seit Jahren anhaltenden Verschmutzung nichts Grundlegendes geändert werden, „umzukippen“. Natürlich sieht man ihm das nicht immer unmittelbar an…
Wir beschließen gleichwohl - schuldbewußt - an einer der abgelegeneren Gegenden des Sees – an der noch überschaubar besiedelten Halbinsel Capachica (Kleines Kap) – ein paar ruhige Tage einzulegen… Mittlerweile bieten viele hier seit Generationen siedelnde Menschen der Region bescheidene Unterkünfte für Touristen an, die es den Reisenden ermöglichen, nah an den Menschen dem Treiben am Titicacasee beizuwohnen. Das alles in wundervoller Landschaft und mit der Möglichkeit, den Bauern bei der Arbeit zuzusehen oder sogar unter die Arme zu greifen. So sehen wir Touristen, die mit den Fischern die Netze nach nächtlichem Fang sichten, den Fisch – den es hier offenbar noch gibt – „ernten“ und die Netze erneut zusammenlegen oder Touristen, die den Campesinos beim traditionellen Wäschewaschen im See helfen… Touristen fahren auf Segelbooten oder Kajaks, besichtigen die umliegenden Inseln oder besuchen die hoch oben auf dem Berg gelegenen Inka-Ruinen. Wir beschließen die Tage mal wieder gar nichts zu tun…
Unser Ziel ist die Casa Felix. Mit dem Colectivo geht es zunächst zum Ort Capachica, wo bereits ein weiteres Colectivo nach Llachón auf uns wartet. Bereits hier fallen uns die schönen Trachten und typischen bestickten Hüte der hiesigen Frauen auf, deren zwei bunte Bommeln wir nun immer wieder bewundern können… Von Llachón aus, wir werden an einem staubigen Platz herausgelassen, wandern wir noch gut 30 Minuten weiter nach Santa Maria. Wir fragen uns zur Casa Felix durch, den hier offenbar jeder kennt… Und dann, ja dann strahlt er uns an… Felix, wie er sich uns vorstellt, ist im Grunde das, was man sich wünscht, wenn man irgendwo ankommt: Ein perfekter Gastgeber, der eine natürliche, freundliche Ausstrahlung hat, so dass man sich einfach wohlfühlen muss… Er strahlt uns mit seinem entwaffnenden Lächeln an, heißt uns willkommen und hat zum Glück noch ein Zimmer für uns frei…
Wir betreten ein auf einer Steilküste wunderbar über dem See angelegtes Grundstück, sehen traditionelle ältere, aber auch neuere Gebäude, die teils über und über mit blühenden Pflanzen bewachsen sind. Von überall schauen wir weit über den See hinaus. Ein traumhafter Anblick. Auf einem Platz vor dem Speiseraum – wie wir später erkennen – liegen ein paar Reisende auf dem Rücken in der Sonne, ein freundlicher Hund wedelt uns erwartungsvoll an. Erstmal werden wir zum Mittagessen gebeten. Wir vereinbaren für die nächsten gut vier, fünf Tage Vollpension. Es gibt eine tolle Quinoa-Gemüse-Suppe, anschließend Trucha (Forelle) mit Reis und Kartoffeln. Keine große Küche, aber für diesen abgelegenen und bescheidenen Ort: hervorragend. Genauso hatten wir uns das vorgestellt…
Die Casa Felix, das ist das Haus der Eigentümer samt Küche, ein gemeinsamer Essensraum, zahlreiche Gebäude mit Unterkünften (teils mit WC), mehrere Gemeinschaftsräume mit Duschen mit warmem Wasser. Die Anlage ist ein bereits ziemlich professionell organisierter Ort, der schon 17 Jahre lang Reisende begrüßt – die gesamte Familie von Felix ist hier eingespannt. Das Areal fällt terassenweise und teils steil zum Wasser hin ab. Nach hinten heraus steht man oberhalb eines lang gezogenen weißen Sandstrandes, zu dem man mit ein wenig Kletterkunst hinabsteigen kann, sonst blickt man von der Steilküste hinab auf kleine Boote und den weit auslaufenden tiefblauen Titicacasee. Oberhalb liegen landwirtschaftliche Anbauflächen und weitere kleine Gehöfte, die ebenfalls Gästezimmer anbieten. Ein kleines Schwein suhlt sich hinter dem Haus, zwei zum Haus gehörende Lamas bewegen sich stetig auf dem Berg. Über uns der klare blaue Himmel, neben der frischen Seeluft erleben wir diesen steten Hauch von Landluft…
Über die Tage hier räkeln wir uns in unserer Hängematte, die wir mit Blick auf den Beach zwischen Eukalyptusbäumen aufhängen. Wir haben für den Morgen eine klitzekleine, grasbewachsene Terrasse im windgeschützten Bereich des Hangs für uns erschlossen, auf der wir unseren Kaffee in der wärmenden Sonne genießen und von wo wir den Frauen beim Waschen im See zusehen. Wir lieben den Ort, denn hier kann man wunderbar die von der bitterkalten Nacht noch klammen Knochen wärmen. Für den Nachmittag nutzen wir eine andere Terasse am Hang, auf der wir – geschützt vor der allzu heißen Sonne – lesen, schreiben oder einfach nur unseren Gedanken nachgehen… Natürlich laufen wir zur Inka-Ruine den Berg hinauf, treffen einen freundlichen alten Schäfer, der uns die Gegend erklärt und staunen in der Dunkelheit über den nächtlichen Sternenhimmel, der hier fantastisch strahlt.
Kurz: Wir verbringen wundervolle Tage am See und haben abends zudem nette Bekanntschaften gemacht… Neuerdings planen wir unsere Rückreise über Spanien und Valencia, wo Benito – der Physik-Professor – und seine Freunde wohnen!
Danke Felix! Besser haben wir uns unsere Tage am Titicacasee nicht vorstellen können!
Von Puno nach La Paz – Hexenmarkt und Seilbahn
Über Puno, wo wir weitere zwei Nächte verbringen, um unseren Weg nach Bolivien zu organisieren, reisen wir mit vielen anderen Touristen – wir sind eben gerade in der Touristen-Spur unterwegs – Richtung La Paz. Unser Weg geht über Copacabana, dem vielleicht bekanntesten Ort im bolivianischen Teil des Titicacasees, immer wieder vorbei an herrlicher Seen- und Berglandschaft. Es trifft uns ein langes Warten an der Grenze – es wird (wenigstens heute) in beiden Grenzhäuschen nur jeweils ein Grenzbeamter eingesetzt (!). Es ermöglicht uns das Treffen alter und neuer Bekanntschaften: Da ist die vierköpfige Gruppe aus Stuttgart (endlich wieder Bundesligist!), die wir im Verlauf der weiteren Stationen in Bolivien immer wieder sehen werden, da ist das US-amerikanische Paar, das über ein Jahr in der Welt herumreist und die wir in Caraz, zu Beginn unserer eigenen Reise, kennengelernt haben… Wie klein die Welt doch ist (oder: wie eingeschränkt der internationale Massentourismus doch ist), dass man sich hier spontan wiedertrifft! Wir hoffen, dass sie, die sie in der Schlange weit hinter uns standen, die Einreise nach Bolivien irgendwie gedeichselt haben – für US-Amerikaner in Bolivien derzeit offenbar nicht so einfach…
Wir fahren über Tiquina, wo der Bus auf Fähren verschifft wird, durch das hochgelegene El Alto, längst mit der 700.000-Einwohnerstadt La Paz verwachsen und haben unterwegs einen Platten, weil der Bus aufgrund einer Straßensperrung Querfeldein fahren muss... Wie schnell und professionell die Jungs den Reifen gewechselt haben - Hut ab!
Als wir La Paz, höchster Regierungssitz der Welt, erreichen bleibt uns die Spucke weg: Die Stadt schmiegt sich über viele viele Höhenmeter in die steilen und verschlungenen Berge hinein, windet sich über Bergrücken und in Bergfalten und zieht sich weit in den Cañon des Rio Chokeyapu hinab… Soweit das Auge reicht glitzert und leuchtet die Stadt in der Abenddämmerung und ihren Lichtern – atemberaubend! Was für eine Einfahrt.
Der Eindruck einer atemberaubend gelegenen Stadt verdichtet sich mit unser am nächsten Tag durchgeführten Seilbahn-Tour. Ein österreichisches Unternehmen baut in der Stadt mehrere Seilbahnen, um die teils bis zu 1.000 m Höhenunterschiede der Stadtteile (ihre Lagen befinden sich zwischen 3.200 und 4.100 m) gleichwohl einigermaßen schnell überwinden zu können. Für uns die Gelegenheit die Stadt aus der Vogelperspektive zu überfahren, um uns einen ersten globalen Eindruck von der Stadt und von den sie umgebenden schneeweißen Andengipfeln zu verschaffen. Wir werden geführt von Edgar, ein junger Student einer der hiesigen staatlichen Universitäten der Stadt, der uns in perfektem Englisch und mit guter Ortskenntnis an Orte führt, die wir sonst nie gesehen hätten und der an uns mindestens so viel Interesse hat, wie wir an ihm! Beste Bedingungen also…
Fantastisch sind zunächst die Blicke aus der Gondel auf die Stadt. Faszinierend sind jedoch auch die Orte, die uns Edgar präsentiert: Mit der roten Bahn beispielsweise fahren wir nur zwei Stationen nach oben (Höhenangst ist auch hier keine gute Eigenschaft) und schauen von hier beeindruckt auf die Stadt. Wir stehen an einem Abhang oberhalb des Centro. In unserem Rücken lauter kleine Türchen, die heute fast alle geschlossen sind… Edgar erklärt uns, dass diese Offices in der spirituell, esoterisch und religiös aufgeladenen Stadt den Sehern, Heilern und Wahrsagern dazu dienen, ihre Dienste zu verrichten. Hier oben finden rituelle Verbrennungen zu Ehren der Pachamama statt, Heilungsrituale und und und… Ich glaube, er weiß es selber nicht genau und nutzt solche Dienste eher selten...
Interessant?! Das geht aber noch besser: Auf dem sog. Hexenmarkt, ganz in der Nähe unserer Unterkunft… Rund um die Straßen Santa Cruz und Sagárnaga liegt dieses spannende und ungewöhnliche Fleckchen La Paz, in welchem zwar sicher keine Hexen, aber – sagen wir – spezielle Frauen und Männer mit allerlei „Teufelszeug“ Dinge bewirken, Menschen heilen, ungewöhnliche Wünsche erfüllen etc. In den chiflerías und Straßenständen dieses Viertels, den kleinen aber meist mit Lama- und Alpaka-Föten, Kokablättern, allerlei dubiosen Substanzen und Mittelchen sowie etwa Schlangenfleisch proppenvollen Läden, findet man ein ganzes Sortiment an wunderlichen Dingen, die für Dieses und Jenes gut sein sollen… Ein Hauch von Zauberei und Esoterik, Hexerei und Magie liegt in der Luft, wenn man diese Straßenzüge quert…
Ich empfehle an dieser Stelle zur Vertiefung den hervorragenden Artikel von Roland Schulz im Spiegel: „Fauler Zauber der Teufelstropfen“, der einen guten Eindruck von der sich hier spielenden Szene vermittelt!
Auch der eher ‚normale‘ aber quirlige Mercado Negro sowie der Straßenmarkt rund um die Straßen Tumusla, Buenos Aires und Max Paredes sind sehenswert. Es wimmelt von unzähligen Marktständen in denen – ich lege mich fest – alles, wirklich alles zu kaufen ist, was das Herz begehrt. Ein buntes Treiben, das man sich nicht entgehen lassen sollte und in dem man sich in der Menge traditionell gekleideter Indigeñoes regelrecht verlieren kann.
Ohnehin gefällt uns La Paz nach nur wenigen ersten Eindrücken ausgezeichnet. Zwar braucht man in dem Auf und Ab der Straßen eine gute Kondition und Akklimatisierung, was man aber dann erlebt, das ist eine angenehme, trubelige und sehr sehenswerte Stadt mit zahlreichen historischen aber auch immer wieder anspruchsvollen modernen Gebäuden – aus unserer Sicht ein deutlich sichtbarer Unterschied zu Peru: In Bolivien scheinen die Architekten mehr Anspruch an Kreativität und Innovation zu haben... Wir haben darüber hinaus gut international, aber auch ausgesprochen lecker und authentisch bolivianisch gegessen, fühlten uns all die Tage sicher und haben La Paz genossen… Da wir immer wieder nach La Paz zurückkommen werden, wollen wir es heute hierbei belassen… Zu einem anderen Zeitpunkt geben wir hier dann auch Empfehlungen zu La Paz ab.
Empfehlungen
Puno ist sicher keine touristische Perle, aber ein guter – womöglich der beste – Ausgangspunkt zur Erkundung des Titicacasees.
Die Hotelinfrastruktur ist riesig, durchschnittliche Restaurants gibt es im Überfluss und die Stadt ist durchaus ansprechend und praktisch. Es wimmelt vor Reiseagenturen – deshalb besonders aufpassen, denn die unterscheiden sich in der Zuverlässigkeit und Qualität erheblich – und auch selbstorganisierte Touren sind ohne weiteres möglich…
Unsere Unterkunftsempfehlung in Puno: Wir empfehlen - nachdem wir zuvor mit einem anderen teureren Hostal in der Stadt nicht die besten Erfahrungen gemacht hatten - das Marlon’s House, das neben attraktiven, funktionalen und sehr hellen Zimmern auch preislich gut ist. Die Leute da – vor allem Marlon selbst – sind super nett, es gibt ein gutes Frühstück und große Schließfächer sowie die Nähe zur Stadt sind auch gegeben:
- Marlon‘s House, Jr. Lambayeque 144 entre la Calle Lima y Lambayeque, Puno oder http://www.marlonshouse.com/de/
Restaurants in Puno: Wirklich überzeugt hat uns in Puno kein einziges der typischen Restaurants – die, die wir besucht haben, nahmen sich alle nicht viel und boten den üblichen Durchschnitt. Ein Restaurant stach allerdings deutlich hervor, weil es hier vor allem etwas im Überfluss gab, was bei allen anderen (sieht man mal vom üblichen Reis und Kartoffeln ab) fehlte: Gemüse… Das
- Restaurant Buho, Jr. Lambayeque 142, Puno
wird von dem Deutschen Gernot geführt, der hier seit gut drei Jahren lebt. Hier bekommt Ihr, in zudem angenehmer Atmosphäre, gute peruanische und internationale/deutsche Küche – und eben endlich auch mal wieder Gemüse… Z.B. hatte ich Heißhunger auf diese Pfannkuchen mit Gemüse, echt lecker… Das Café hat ein großes eher unübliches und daher mal wieder abwechslungsreiches Angebot an Speisen und überdurchschnittlich guten Kaffee. Wir haben uns darüber hinaus mehrfach richtig gut mit Gernot unterhalten können und haben viele wertvolle Informationen eines auch kritischen Puno/Peru-Insiders erhalten… Danke Gernot, hat uns echt viel Spaß gemacht! Sehen uns auf unserer Rückreise durch Puno!
Allgemeines in und um Puno:
- Ob man sich den Besuch der Uros antuen möchte, muss jeder persönlich für sich entscheiden. Ich will nur nochmal betonen, dass man auf den Schilfinseln lediglich einen folkloristischen und ziemlich verfälschten Eindruck von der Lebensweise des Volkes bekommt. Natürlich kann das gleichwohl interessant sein, man sollte seine Erwartungen entsprechend anpassen. Sicher sind viele Produkte der Uros für Normalurlauber auch durchaus interessant und dann auch schöne Souveniers.
- Sicher empfehlenswert ist der Besuch des Lago Umayo und der Grabtürme von Sillustani. Schon wegen der traumhaften Landschaft, aber auch wegen der historisch interessanten Geschichte der Grabstätte – die gut mit einem Besuch des Museo Carlos Dreyer, Deustua 701, Puno verbunden werden kann und sollte - lohnt sich dieser Halbtagesausflug. Wer ihn auf eigene Faust unternimmt, der sollte nachmittags dort anreisen, denn die Lichtverhältnisse sind dann bombastisch. Es ist dann allerdings auch extrem windig und kalt dort oben - warme Kleidung nicht vergessen. Übrigens: Carlos Dreyer war Deutscher, hat eine sehr interessante persönliche Geschichte und hat hier lange am Titicacasee gelebt und gewirkt!
- Auf jeden Fall sollte man für ein paar Tage die Inseln Tanquile und/oder Amantani besuchen und/oder die Halbinsel Capachica und bei den Menschen am Titicacasee Zeit verbringen. Auf Capachica gibt es neben Llachón/Santa Maria noch weitere interessante Alternativen. Wir waren glücklich bei Felix Turpo: Casa Felix oder auch Hospedaje Samary, Santa Maria. Ihr werdet über Tripadvisor oder den Lonely Planet seine Kontaktdaten finden. Wir empfehlen: Einfach hinfahren! Mit dem Colectivo von Puno bis zur Ortschaft Capachica auf Capachica (1,5 Std.), dort warten bereits Colectivos, die Euch in 15/20 Minuten nach Llachón bringen. Dort fragt einfach die Leute, wo ihr zur Casa Felix kommt – 20 Minuten Fußmarsch, höchstens 30 Minuten, allerdings Auf und Ab! Ein Schild am Weg weist die letzte Etappe hinab zur Unterkunft. Sollte Felix keine Zimmer mehr haben, muss man nicht unglücklich sein: Er wird als Teil einer Kooperative immer in einer der ebenfalls sehr schönen Anlagen in der Nähe ein Zimmer für Euch finden…
Da wir erst ein paar Tage in La Paz waren, werden wir Empfehlungen zu dieser Stadt erst mit weiteren Erfahrungen dort aussprechen.
Ausblick
Spuren | WECHSLER begeben sich in eine der vielleicht abgelegensten und unwirtlichsten Gegenden der Welt, wenigstens jedoch Boliviens:
Sie reisen nach Uyuni in den Süd-Westen des Landes, besuchen den größten Salzsee der Welt und seine Sehenswürdigkeiten und durchqueren in mehrtägiger Reise das nationale Reservat de Fauna Andina Eduardo Avaroa – eine karge, von Vulkanen und Wüsten geprägte Landschaft. Sie ist jedoch gespickt mit fantastischer Natur: Geysirfelder, farbenprächtige Lagunen, spektakuläre Lavafelder und bizarre Landschaften.
Spuren | WECHSLER begegnen hier den Tieren Südamerikas und eiskalten Nächten auf über 4.000 m Höhe. Luxus ist hier ein Fremdwort: Mehrbettzimmer-Unterkünfte ohne Heizung, Ofen oder heiße Duschen, Rippenpisten und staubige Querfeldeinwege sowie minimale Ausstattung in engen Jeeps…
Und dennoch: Es wird eines der großen Highlights dieser Reise sein! Freut Euch auf großartige Bilder...!
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Reinhard Helle (Freitag, 08 September 2017 09:54)
Moin, moin aus Hamburg,
wieder ein Bericht, bei dem ich mich beim Lesen sehr genau in die jeweiligen Situationen und Erlebnisse hineinversetzen kann. Dabei ist mir eine Frage eingefallen: allein beim Lesen der Berichte bekommt man ja außerordentlich viele Informationen ... aus dem Text und aus den Bilder ... wie verarbeitet Ihr diese Tsunamis von täglich neuen Eindrücken, die ihr ja real erlebt, in der direkten Kombination von Bildern und sonstigen Eindrücken?
Beste Grüße
Reinhard
Eutin1998 (Samstag, 09 September 2017 16:32)
Moin Spurenwechsler, habe heute alle eure Bericte in eins durchgelesen und bin angetan. Echt klasse Reiseblog! Muss dringend mal nach Peru! Sehr schoene Bilder! Weiter so, für mich einer der besten Blogs im Netz! LG
Spuren | WECHSLER (Samstag, 09 September 2017 16:54)
Lieber Reinhard,
ich freue mich über deine weitere Begleitung und dass ich dich weiter "mitnehmen kann". Irgendwie scheinst du ja im Bus neben mir zu sitzen...
Zu deiner Frage: Ich werde darauf im nächsten Blog nocheinmal ausführlicher eingehen, halte mich hier also kurz!
Beste Grüße aus Sucre - würde dir hier auch gut gefallen, das Bier schmeckt richtig gut!
Jörg
Spuren | WECHSLER (Samstag, 09 September 2017 16:59)
Hallo Eutin1998,
danke für dein Feedback - offenbar aus dem Norden Deutschlands...?! Auch wenn das der Ehre vielleicht etwas zu viel ist... Wäre schön wenn Du IN DER SPUR bliebest, Peru wird hier auch nochmal relevant, weil wir ja nochmal zurückreisen werden... Sollten deine Absichten aktueller werden: Stehe für Fragen und Tipps jederzeit zur Verfügung.
Ciaco aus Sucre, Bolivien
Spuren | WECHSLER
Eutin1998 (Samstag, 09 September 2017 17:07)
Hallo Spurenwechsler, habe gerade noch einen Reisebericht gelesen. Dein Blog ist großartig! Werde ihn weiterempfehlen und weiter schmökern. Ob ich jemals nachPeru komme?? Danke für die schnelle Antwort. LG
Spuren | WECHSLER (Samstag, 09 September 2017 17:48)
Hey Eutin1998,
ganz lieben Dank! Freuen uns wieder von dir zu hören!
Hasta luego
Spuren | WECHSLER