Blog-Beitrag Nr. 2
Moin Moin!
Zweiter Beitrag aus Peru, jetzt doch etwas früher als angekündigt – es gibt einfach so viel zu berichten. Wie schön, so viel Zeit zu haben und über Dinge auch mal in Ruhe nachdenken und schreiben zu können…
Mein Arbeitsplatz heute: Ich liege/sitze in der Hängematte auf dem Dach unseres wunderbaren Hostels, in dem wir nun schon mehr als eine Woche verbringen und in dem wir uns rundherum wohl fühlen. Mein Blick geht auf die Anden, in die Weite des Tals.Wir sind aktuell sehr glücklich hier zu sein.
An dieser Stelle schon mal vielen Dank für zahlreiche freundliche Feedbacks zu unserem ersten Beitrag. Bin begeistert, wie viele uns schon jetzt ‚IN DIE SPUR‘ gefolgt sind. Lasst uns bitte auch wissen, was Euch fehlt, wovon Ihr mehr wollt... Wir versprechen aber gar nichts - um das auch klar zu sagen...!
Kommt ‚IN DIE SPUR' Leute!
Berauschende Schönheit Cordillera Blanca
Bereits die Anreise – 8 Stunden von Lima nach Huaraz im Luxus-Bus, vorbei an hunderte Meter hohen Dünen, steil zum Meer abfallend, genauso steil über der Straße aufsteigend, sowie begeisternde Berglandschaften und Canons in der Cordillera Negra – hat uns begeistert. Nach nunmehr zweiwöchigem Aufenthalt in der Cordillera Blanca lässt sich festhalten: Die Region im zentral-nördlichen Hochland von Peru ist allein schon die Reise in das südamerikanische Land wert und flasht uns extrem…
Wir sind hingerissen und fasziniert von den herausragend schönen Bergkulissen um uns herum, den Bergseen, Lagunen, Schluchten oder Wasserfällen. Jeder, wirklich jeder Blick aus den saftig grünen Tälern heraus verzaubert uns, treibt uns ein Lächeln der Freude in das Gesicht. Wir tun oft gar nichts anderes, als einfach dazusitzen und die Gegend zu sondieren. Die Cordillera hat unsere Erwartungen voll erfüllt.
In allen Himmelsrichtungen erheben sich imposante braun-grün überzogene aber auch immer wieder felsig-graue Berge – mal flach und lässig geschwungen, mal steil und drohend erhoben. Schon sie sind wuchtig und imposant, liegen ihre Gipfel doch in Höhen von über 3.000 oder 4.000 Metern, häufig mehrere hundert Meter über unseren Köpfen… Oft sind sie – uns nötigt das einen riesigen Respekt ab – bis hinauf in die höchsten und steilsten Lagen bewirtschaftet, sind sie von den Campesinos, den Bauern der Gegend, landwirtschaftlich bestellt: Quinoa, Kartoffeln, Mais, Gemüse und Obst aller Art auf steilstem Terrain im Berg… Ein bunter Flickenteppich, auf dem durch harte Arbeit der überwiegend indigenen Bevölkerung die ganze Vielfalt der hier wachsenden Früchte gedeiht.
Doch damit nicht genug: Wohin man schaut, erheben sich dahinter und darüber hinaus, in den Himmel ragend und eingerahmt durch gelb-leuchtende Hochebenen der Puna (Quechua: „Hohes Land“), die schneeweißen Kuppen der eigentlichen Giganten der Cordillera, erheben sich die erhaben und majestätisch thronenden Gipfel der Andenriesen: Der Alpamayo (5.947 m - vermeintlich schönster Berg der Welt), der Huascarán oder der Huandoy (6.768 m und 6.395 m – zu den höchsten Bergen Südamerikas zählend). Wir werden sie nicht alle aufzählen, es sind hier auf engstem Raum allein 18 höher als 6.000 Meter!
Ein wahrlich wunderschönes und imposantes Szenario!
Von Niederlagen und Schlappen in der Höhe
Natürlich war uns bewusst, dass eine angemessene Höhenanpassung erforderlich sein würde. Das gilt erst recht für uns: Flachland-Gringos aus Berlin, höchster Berg knapp 120 m. Da ist auch unser Heimat-Kiez, der Prenzlauer Berg, kein adäquater Ausweis… Gesagt, getan: Wir machen erstmal ‚tranquilo‘ in Huaraz (3.091m), der größten Stadt in der Cordillera und angeblich der beste Akklimatisierungs-Ort der Gegend, um später in noch größere Höhen vorzustoßen. Wir ruhen uns tatsächlich erstmal aus, verbringen Zeit im Hostel und erkunden in geruhsamem Schritt die quirlige Stadt.
Huaraz, eine recht angenehme Kleinstadt, ist 1970 beinahe vollständig ausgelöscht worden, als ein verheerendes Erdbeben Erd- und Schlammlawinen auslöste und 90% der Stadt zerstörte sowie fast 50% der Einwohner tötete. In der Folge neu errichtet, ist Huaraz heute eine zwar lebendige und interessante, aber keineswegs schöne Stadt. Sie ist – sicher auch aus finanziellen Gründen – im Modus des Neuaufbaus irgendwie stecken geblieben, überall halb fertige, unverputzte und im Rohbau befindliche Häuser… Gut, dass es nette Cafés und die umliegenden Berge gibt, die der Stadt gleichwohl ein gewisses Flair verleihen. Wir sehen viele Restaurants, Straßenstände, einen bunten Markt mit Produkten aus den umliegenden Bergen und das moderne Gepräge an Läden und Geschäften – alles eher klein und übersichtlich, aber es gibt wohl nichts, was man hier nicht bekommen kann…
Nach zwei Tagen der Akklimatisierung und mit viel (zu viel) Neugierde und Tatendrang ausgestattet – unser anfänglicher Schwindel und die leichten Kopfschmerzen sind vergangen und wir fühlen uns gut – wollen wir endlich in die umliegenden Berge, die eigentlichen Schätze der Region erkunden! Wir entscheiden uns für die „Einstiegsvariante“ und lassen uns zunächst mit dem Taxi zu den Ruinen von Willkawayin, einem über 1000 Jahre alten Wari-Tempelkomplex auf etwa 3.400 m bringen (die Wari sind viele Jahrhunderte bis 1100 n.u.Z. im zentralen Hochland verbreitet gewesen). Da die Anlage schnell besichtigt ist, wir richtig viel Kraft verspüren und ein freundliches US-Pärchen aus Arizona uns auffordert, sie doch auf diesen „easy trek“ zu begleiten, entschließen wir uns zum ersten echten Wanderabenteuer in der Cordillera. Da will man doch nicht ‚nein‘ sagen…
Die Route schließt unmittelbar an die ruinas an und ist auch im Reiseführer mit „leicht“ gekennzeichnet. Was soll da schon schiefgehen? Wir trekken also mit der gewohnten Leichtigkeit und Eleganz, einer gewissen sportlichen Dominanz und viel Esprit auf die Höhe von über 4.500 m den Berg hoch zur Laguna Ahuac. Wir plaudern nebenbei nett und tänzeln den Berg anschließend locker wieder hinab und feiern unseren Triumph mit Pisco Sour, dem hiesigen Nationalgetränk…
In Gedanken. In unserer Vorstellung. Wir wollten das so machen… Schön wäre es gewesen, aber es kam anders!
Nach gut 1,5 km Distanz und vielleicht 300-400 m Höhenaufstieg (wir sind etwa auf 4.000 m Höhe) erleben wir unsere erste echte Niederlage in den Anden. Die Höhe zwingt uns nieder, pochende Kopfschmerzen, nie gekannte Atemlosigkeit und ein plötzlicher Kräfteeinbruch - trotz moderatem Tempo und immer häufigeren Pausen. Wir müssen erkennen: Heute wird das nichts, wir haben uns an die Höhe doch noch nicht akklimatisiert – schnell runter vom Berg! Gut, dass gerade ein Colectivo – eine Art Sammeltaxi – am einsamen Einstiegspunkt unserer Tour vorbeikommt und uns rettet… Ein trauriger Anblick ist das: Schwitzend, stinkend und völlig entkräftet, eingeklemmt in einem Mini-Bus, der für Personen mit Körpermaß 1,30 m ausgelegt sein muss... Der Kopf pocht elendig! Am Ende tut auch der Rücken weh…
Ergebnis: Unser mangelnder Respekt vor der Höhe und ihren Folgen werfen uns ein paar Tage zurück und bescheren uns eine richtig üble Nacht mit krassen Kopfschmerzen, Übelkeit, Schüttelfrost und Schwindelattacken. Neben den Sorgen, die wir uns um unsere Gesundheit machen – sollen wir lieber noch weiter absteigen? – schlafen wir erstmal einige Nächte miserabel und erholen uns nur sukzessive. Nach 3 weiteren Tagen scheint der Spuk jedoch vorbei und wir sind tatsächlich (weitgehend!) akklimatisiert. Bis zuletzt aber spüren wir die Höhe von über 3.000 m jeden Tag ein wenig, so als wollte uns der Berg warnen... Echte Höhenmenschen werden wir wohl nie!
Wie soll das in Peru mit uns nur weitergehen?
Ein kulinarischer Erdrutsch droht!
Da haben wir den Salat: Höhenkrank und nicht ausreichend akklimatisiert, sind wir gezwungen (vorerst) sogar auf Alkohol zu verzichten. Verzicht! Komplett abstinent! Niente! Das trifft uns hart! Kein Bier! Kein Pisco! Kein irgendwas leckeres etwas… Wer uns kennt, der weiß: Jetzt sind sie richtig stinkig…! Und dann noch das: Ein kulinarischer Erdrutsch droht, seit wir Lima verlassen haben…
Na ja. Nein, so stimmt das nun auch wieder nicht! Aber es ist hier eben alles ranchero und robust, solide und kernig – mehr Hausmannskost als Haute Cuisine… Tatsächlich essen wir nach wie vor sehr gut, nur eben nicht zum Zunge schnalzen, wie noch in Lima. Das gewisse Etwas fehlt doch meist… Was wir dennoch schätzen:
- Man kann für nicht mal 2,50 € in nahezu allen Restaurants der Region „Menu“ bestellen und erhält dann das jeweilige Tagesgericht (eine täglich neue Auswahl von 5 – 6 typischen Gerichten der Region) samt einer Tagessuppe. In der Regel ist das richtig gut, vor allem die Suppen sind richtig klasse. Heute zum Beispiel gab es eine hervorragende Broccoli-Suppe.
- A la Carte geht natürlich auch immer, überhaupt ist zu jeder Tages- und Nachtzeit irgendwo irgendwas geöffnet, verhungern tut man hier garantiert nicht. Wir erinnern uns an Argentinien, wo man außerhalb bestimmter Essens- und Restaurantzeiten oft gar nichts bekommen konnte… Die Städte hier dagegen sind voll von Restaurants. Eine derart große Dichte an Speisenangeboten kennen wir höchstens aus Asien. Hinzu kommen die Straßenköche/-verkäufer, die Konditoren, Bäcker etc., die neben allerlei Süßem auch Empanadas und andere herzhafte Köstlichkeiten verkaufen. Man könnte hier ununterbrochen essen, was am Bauch nur durch hartes Wandern wieder ausgleichbar wäre…
- Fleisch dominiert – von Rind und Schwein über Huhn bis Meerschweinchen (Cuy). Man erhält fast immer Reis und Kartoffeln, kann aber auch Nudeln essen und erhält in jedem Haus eine meist individuelle, pikante Salsa-Sauce, geröstete Maiskörner und Limetten dazu - damit schmeckt es dann auf jeden Fall... Aber irgendwo gibt’s garantiert auch alles andere… Zum Beispiel Pizza: Die schmeckt durchaus italienisch, kostet dann aber auch mal schlappe 9 € und mehr - ohne Suppe.
- Toll sind die süßen Leckereien. Wir können uns an den üppigen, bunten Auslagen nicht satt probieren… Manchmal allerdings übertreiben es die Peruaner auch: Wir sehen Sahnetorten mit integrierten Bierdosen… Die integrieren Bierdosen in Sahnetorten? Geh mir weg!
- Das saisonale Angebot an Früchten ist gerade herausragend, was unserem Frühstück im Hostel sehr zugute kommt: So süß, saftig, fruchtig und einzigartig lecker bekommen wir sie in Deutschland einfach nicht - da fehlt die Sonne, die hier ununterbrochen auf die Felder und Plantagen scheint… Ananas, Äpfel, Orangen, Mandarinen, Birnen, Papaya, Guaven und diese köstlichen kleinen Bananen in höchster sonnengereifter Güte überschwemmen hier gerade zu Spottpreisen die Märkte… An Vitaminmangel wird unsere Reise hier jedenfalls nicht scheitern.
Alpines Trekking kann glücklich machen – auch uns?
Etwas unsicher und noch beeindruckt von unseren früheren Erfahrungen, aber mit dem Mut der Verzweiflung, gehen wir die nächste „Einsteigertour“ in den Bergen um Huaraz an: Zur Laguna Wilkacocha (3.700 m). „Etwas weniger hoch“ – Höhenaufstieg immerhin 800 m – „…und im Rahmen von 2,5 bis 3 Stunden gut zu schaffen“, scheint diese etwa 10 km außerhalb von Huaraz in der Cordillera Negra gelegene Strecke wie für uns geschaffen…
Wir lassen uns von einem Colectivo an der beschriebenen Brücke absetzen und marschieren einfach mal los. Zunächst geht es gemächlich entlang einer serpentinenartigen Straße in die ersten Höhenmeter – wir schauen uns nach wenigen Metern schwitzend an, und ... sind erstmals aus der Puste! Kurze Pause, verlegen ein paar Fotos schießen – muss man ja machen. Es ist unfassbar heiß! Wir arbeiten uns Schritt für Schritt voran, werfen hier und da einen Blick zurück oder auf die Adobe-Häuser am Wegesrand, geben alles und müssen letztlich alles geben.
Als wir von den Bauern an der Strecke erfahren, dass wir über diese Kuppe dort oben müssen – sie ist wahrlich sehr weit weg und extrem weit oben –, keimen erste Zweifel auf. ‚Sollen wir lieber umkehren?‘ – ‚Nein‘! Das können wir natürlich nicht mit unserem Ego vereinbaren. Also weiter! ‚Mein Gott, geht das langsam voran‘. Dann: Einstieg in den alpinen Teil der Strecke: Es wird noch steiler und felsiger: ‚Nicht Euer ernst!?‘ – ‚Noch könnten wir zurück‘. – ‚Nichts da!‘ Weiter! Schneckentempo. Nein, Schnecken sind viel schneller… Nächste Pause, wir atmen nur noch durch den Mund, immer tiefere Züge, die Augen quellen langsam hervor und tränen permanent, die Nase läuft in einer Tour... Wir haben unsere Wasservorräte bereits ziemlich dezimiert. Zwei Franzosen schießen nun locker an uns vorbei, wollen freundlich sein und demütigen uns unfreiwillig trotzdem. „Die sind schließlich auch 20 Jahre jünger als wir“, hechele ich Magda zu und brauche ob der anstrengenden Worte, die nächste Pause.
Die Lippen trocknen aus, das Sprechen reduzieren wir auf ein Minimum. Weiter! Meter für Meter Qual. Erneute Atem- und Sauerstoffpause, tiefere Luftzüge habe ich nie gemacht und bin hinsichtlich des Effekts fassungslos. Schweiß fließt in Strömen, ich bin klitschnass. Weiter… Nun wieder setzen und ausruhen, weil das Stehen mittlerweile ob der zittrigen Beine zu sehr anstrengt… Mühsam hochhieven… Weiter… Endloser Aufstieg, die Kraft lässt immer weiter nach… Ein einziges Stolpern jetzt, weil die schweren Stiefel kaum nachzuziehen sind. Das Ziel kommt viel zu langsam näher und von oben steigen immer mehr motivierte Menschen locker vom Berg herab: „Ihr habt es ja gleich geschafft, ist nicht mehr weit!“ Das haben wir schon vor einer halben Stunde zum ersten Mal gehört...
Mit der Zeit lernen wir, dass wir langsamer, mit kleinen Schritten und immer wiederkehrenden Pausen (nach etwa fünfzehn bis zwanzig Schritten bergauf!) besser klarkommen. Es bleibt aber extrem anstrengend und wenn der Gipfelpunkt nicht bald gekommen wäre: Wir hätten es nicht geschafft! Wir wären erneut gescheitert.
‚Meine Kräfte sind am Ende‘. Nichts geht mehr. ‚Lasst mich doch hier sitzen.‘ Fast torkelnd erreichen wir letztlich doch die Anhöhe mit der kleinen aber wunderschönen Lagune Wilkacocha, setzen uns auf den erstbesten trockenen Fleck auf der Wiese und ruhen uns erstmal aus… ‚Geschafft! Was für ein Akt‘. Der Triumph bleibt vorerst aus, dafür ist das Selbstverständnis zu angekratzt. Zuerst ist Dankbarkeit: ‚Danke lieber Gott, dass du mir diese Pein erspart hast!‘ Ich denke aber auch: ‚Kommt mir mit dem Scheiß bloß nicht nochmal!‘ Und dann erneut: ‚Geschafft!‘ Man freut sich auch über Kleinigkeiten.
Wir kommen erstaunlich schnell wieder auf die Beine, schneller, als gedacht und erholen uns zügig. Mit der Erholung kommt der Stolz zurück. Wir sind ja oben! Und der Anblick ist Belohnung pur. Die Aussicht in die Anden ist überwältigend, exorbitant, es hat sich gelohnt - die Schinderei hat sich wirklich gelohnt. Am Ende – wir genießen den Ausblick ausführlich und der Abstieg geht schnell – haben wir nur eine Stunde länger gebraucht, als geplant. Die Höhe hat uns nicht mehr geschadet. Wir haben unsere Reifeprüfung – das Wie? ist egal – bestanden. Heute würde ich das auf keinen Fall missen wollen. Wir wissen aber jetzt auch: Alpines Trekking wird wohl nicht mehr zu unserer größten Leidenschaft.
Wie kommen wir nur an die Leute ran?
Bereits in Lima war uns aufgefallen, dass die Menschen in Peru erstmal ziemlich distanziert und teilweise krass abweisend auf unsere Kommunikationsversuche reagieren. Das zeigte sich in Huaraz etwas verbessert und hier und da hat uns tatsächlich mal jemand freundlich angelächelt, wenn wir es unsererseits mit allerlei Charmeoffensive provoziert haben. Aber ein Gespräch? Eine gegenseitig interessierte Unterhaltung? Mindestens ein netter Smalltalk, in dem man irgendwie zwei Seelen zusammenbringt? Fehlanzeige – unsere Versuche prallten regelmäßig ab und wir standen häufig ziemlich düpiert da – auch kein schönes Gefühl… Was ist nur mit den Leuten los?
Schon während unserer Trekkingtour zur Laguna Wilkacocha haben wir allerdings einen – ich finde echt spannenden – Schlüssel gefunden, der seither zuverlässig funktioniert: Einfach mal die Menschen folgendermaßen ansprechen, dann tauen sie sofort auf: „Buenos Dias, Senior! Mucho trabajo?! Trabajo, trabajo!“ (Guten Tag, der Herr! Viel Arbeit, was?! Immer Arbeit!). Das Ergebnis ist verblüffend! Unfassbar, dass daraufhin bisher jeder innegehalten und mit uns wenigstens ein paar Worte gewechselt hat… Ungelogen! Die Reaktion unterscheidet sich deutlich von allen vorhergehenden… Beispiele gefällig:
- Ein Campesino, der offenbar Adobe-Blöcke produziert: „Ist für mein Haus! Ich baue meiner Frau und mir ein Haus!“ und deutet auf die Adobeblöcke auf der Wiese, an denen er sich zu schaffen macht und den Platz, an dem das neue Haus offenbar entstehen wird… Wir kommen kurz ins Gespräch und erkennen, wie hart der Mann dafür schuften muss… War ihm offenbar wichtig, das mal zu sagen... Er winkt uns nach.
- Ein Ingenieur, der in den teils ärmlichen Dörfern in den Bergen für Wasseranschlüsse sorgt: „Ja, das stimmt! Arbeit ist des Menschen Schicksal!“ – Ich winke ab und deute an, dass ich das gar nicht hören will… Daraufhin lachen wir gemeinsam herzlich, weil wir das ganz offenbar ähnlich sehen und sind kurz im Schicksal vereint… Ein schönes Ende einer kurzen Konversation, er wünscht uns „Gute Reise!“.
- Eine Gruppe von Straßenarbeitern, die einige Bäume fällen müssen, um die Straße zu sichern: „Ja, da hast du recht! Unverkennbar! Kannst ja mit anfassen!“ – Meine Reaktion und die Andeutung, dass ich gerade diesen Berg bestiegen habe und fix und fertig bin, reichen aus, um erneut Verständnis für beide Seiten auszutauschen… Man sieht’s mir wohl auch an, da geht heute nichts mehr… Man lächelt uns freundlich hinterher.
Fazit: Mir scheint, dass die Menschen hier – vielleicht überall in der Welt? – in ihrer Arbeit, die sie leisten, in ihrem Schicksal, ganz einfach 'gesehen werden‘ wollen. Erst recht gilt das gegenüber diesen offensichtlich stinkreichen Touristen, die sich teure Reisen leisten und nichts Besseres zu tun haben, als Berge zu besteigen, während man selbst um die pure Existenz kämpft…! ‚Diese Gringos‘ – jetzt meine ich uns – ‚scheinen wenigstens zu erkennen, dass wir ein hartes Leben haben.‘
Mal abgesehen davon, dass wir das ärmliche und harte Leben vieler Menschen hier in den Bergen tatsächlich mehr als deutlich sehen: Das Thema „Arbeit“ funktioniert hier kommunikativ wirklich immer!
Nach all der Natur mal wieder Kultur: Chavín de Huántar
Noch in Berlin war ich in der Vorbereitung auf die Cordillera Blanca auf eine Dokumentation gestoßen, die meine Aufmerksamkeit sogleich gefesselt hat: In der Zeit zwischen 1.200 – 400 v.u.Z. – gerade noch zu Platons Lebzeiten also – existierte in der östlichen Cordillera eine mehr als interessante Theokratie mit weitreichendem Einfluss auf Peru und darüber hinaus. Eine Kultur also, die weit vor den Inka, prägenden Einfluss auf die Völker der Region nahm, deren Elite allein auf Basis ihrer Glaubwürdigkeit in religiöser Hinsicht Jahrhunderte überdauerte. Die Führer der Chavín-Kultur vermittelten u.a. über elitäre Initiationsriten (gelinde gesagt ging es um wilde Drogenexzesse), die Verkündung göttlicher Wahrheit (schamanische Schlangendeutungsrituale etc.) und sinnstiftende Theologie glaubhaft eine geistig-autoritäre Führerschaft. Die Dokumentation war spannend, die archäologischen Spuren lassen sich hier besichtigen. Natürlich fahren wir da hin!
Wir besuchen die Grabungsstätte im Rahmen eines Ganztagesausfluges und bestaunen zunächst doch wieder die Natur: Wir überqueren die Puna, deren Grasbüschel goldgelb leuchten und sich sehenswert vor den weißen Bergen der Cordillera abheben, wir besichtigen die schöne Laguna Querococha auf bereits merklich spürbaren 4.300 m Höhe – es ist recht kühl im Wind hier oben – und passieren den tunnelartigen Andenpass auf über 4.500 m, den bisher höchsten Punkt unserer Reise. Auf der anderen Seite grüßt uns nicht nur eine riesige Christus-Figur, sondern die Strecke vor uns schlängelt sich in einem atemberaubenden Schluchten- und Bergpanorama, einem Auf- und Ab, dem wirklich wunderschön gelegenen Tal von Challhuaiaco entgegen. Allein die Abfahrt in das Tal hätte die Reise gelohnt. Wir passieren es und gelangen zur Ausgrabungsstätte Chavín de Huántar, die gerade von Archäologen der Stanford Universität weiter freigelegt und im wahrsten Sinne des Wortes ausgegraben wird. Wir sehen erwachsene Männer und Frauen im Dreck wühlen… Das muss man auch mögen…
Die bereits freigelegten Areale offenbaren eine bemerkenswerte antike Bauleistung, die offensichtlich durchdacht und akribisch geplant, sowohl über überirdische Tempelkomplexe, Wohnbehausungen und rituelle Plätze verfügte, wie über unterirdische Wasserleitsysteme und labyrinthische, begeh- wie bewohnbare Gänge und Räume verfügte. Die bauliche Anlage fügte sich offenbar ganzheitlich in die umgebende naturräumliche Lage ein und lässt auf ein ausgefeiltes kosmologisches Weltverständnis schließen.
Die anschließend in einem Museum zu besichtigenden architektonischen und künstlerischen Artefakte, die die Anlage schmückten und sinnstiftend dekorierten, zeigen eine Kulturleistung auf hohem Niveau. Der Besuch der Anlage von Chavín de Huántar war für uns ein Highlight in der Cordillera Blanca.
Wenn Euch Chavín de Huantár interessiert, ist dieses Video tatsächlich kein schlechter Einstieg…
Ihr seht, wir sind langsam und schmerzhaft, aber glücklich und zufrieden angekommen in Peru.
Ein tolles Land bis hierher! Wir entschließen uns daher in das Tal noch etwas tiefer einzudringen. Wir wollen auf einem etwas niedrigeren Höhenlevel und deutlich kleiner und ruhiger weiter machen. Wir werden nach Caraz (auf ca. 2.300 m) weiterziehen, in ein von den Erdbeben und Schlammlawinen der Region verschont gebliebenes Örtchen, etwa 50 km weiter nördlich gelegen. Es verspricht fantastische Ziele in unmittelbarer Nähe und soll eine freundliche, urbane und hübsche Kleinstadtatmosphäre haben. Schauen wir mal…
Ciao Eure Spuren | WECHSLER
Empfehlungen
Ausblick
Empfehlenswerte Highlights sind in Huaraz für uns nur die Huaraz umgebenden Berge und Landschaften. Besonders schön ist die Ost-Cordillere auf dem Weg nach Chavín de Huántar, weshalb wir den Besuch der archäologischen Stätte auf jeden Fall empfehlen.
Wer nicht weiß, welche der zahlreichen Routen und Touren in die Berge er machen soll, der macht mit der wunderschönen Laguna Wilkacocha in der Cordillera Negra keinen Fehler.
In Huaraz selbst sind vor allem die Marktstrassen interessant, wo die Indios der Region zumeist auf dem Bürgersteig hockend, in improvisierten Ständen, bunt und traditionell gekleidet, ihre Produkte verkaufen.
Wir ziehen das Tal weiter runter, Richtung Caraz (2.300 m) und wollen die zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Region erkunden, als da wären:
Die farbenfroh leuchtenden Lagunas/Lakes Parón und Llanganucos auf Höhen über 4.000 m, die atemberaubende Schlucht am Canón del Pato mit Steilwänden von mehr als 1.000 m Tiefe, die größten aber seltenen Riesen-Ananas-Pflanzen, die hier auf 4.300 m vor allem in der Cordillera Negra am Punta Winchus wachsen. Und letztlich werden wir nicht müde, auch weiterhin moderate Trekkingtouren in die umliegenden Berge zu unternehmen...
Aber:
- Wird den Spuren | WECHSLERn im deutlich kleineren Caraz nicht langweilig sein?
- Gelingt der Spagat zwischen Höhen von über 4.000 m und einem nun deutlich niedrigeren Wohnort?
- Und was hat Caraz mit den schönsten Farben der Welt zu tun?
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Brunhilde und Ullrich Link (Dienstag, 25 Juli 2017 09:26)
Wieder ein toller Bericht, den wir früher als erwartet gelesen haben. Vielleicht solltet Ihr über das Ausleihen von Sauerstoffgeräten nachdenken?!?! Diesen Naturschönheiten müsst Ihr doch irgendwie näher kommen. Das Foto von der Auslage der Bäckerei hat aber auch sehr gefallen, dafür würden wir auch einen Tag in der Hängematte opfern. Viel Erfolg weiterhin in Caraz. Hoffentlich kommt Ihr nahe an 6000 er heran. L G Brunhilde und Ulli
Spuren | WECHSLER (Mittwoch, 26 Juli 2017 06:50)
Liebe Links,
wir sind den 6000ern schon ziemlich nahe gekommen, im nächsten Blog mehr dazu.
Was die Torten und Süßwaren angeht, sind wir schwer begeistert, die haben tolle Sachen hier. Wir reden uns einfach ein, dass ein Stück Sahnetorte wie eine Portion Sauerstoff wirkt...
Danke! LG M&J